Das Echo dunkler Tage
in gutem Zustand. Sie schätzte, dass sie in zwei Stunden in Elizondo sein würden. Die Einsamkeit an diesem grauen Morgen verdüsterte ihr sowieso schon dunkles Gemüt noch mehr. Sie sah zu Jonan, der sich auf dem Beifahrersitz in seinen Mantel gekauert hatte und friedlich schlief. Fast wünschte sie sich, er wäre wach, damit sie sich nicht so allein fühlte. Was machte sie um halb sechs Uhr morgens auf dieser Landstraße? Warum war sie nicht zu Hause im Bett bei James? Vielleicht hatte Fermín Montes recht, und der Fall war eine Nummer zu groß für sie. Die Szene im Hotelrestaurant fiel ihr wieder ein, Fermín und Flora, das hatte sie fast vergessen. Etwas an dieser Verbindung kam ihr nicht stimmig vor, aber wahrscheinlich lag das nur daran, dass sie sich aus Familiensinn mit Víctor solidarisierte. Jonan hatte ihr ja schon gesagt, dass er die beiden zusammen gesehen hatte. Sie dachte an ihr Gespräch mit Flora in der Backstube. Ihre Schwester hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass sie Montes attraktiv fand. In dem Moment hatte sie es für eine ihrer Boshaftigkeiten gehalten, aber die Szene in dem Restaurant hatte jeglichen Zweifel ausgeräumt: Flora hatte alle Geschütze aufgefahren, um Fermín zu bezirzen, und er hatte richtig glücklich gewirkt. Aber auch Víctor hatte glücklich gewirkt mit seinem gebügelten Hemd und seinem Rosenstrauß. Instinktiv presste sie die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Verdammt, verdammt, verdammt!
Als sie in Elizondo ankamen, war es bereits hell. Sie hielt vor dem Galarza in der Santiago-Straße und weckte Jonan. In dem Gasthaus roch es nach Kaffee und warmen Croissants. Während Jonan auf die Toilette ging, bestellte sie am Tresen zwei Tassen Kaffee, trug sie selbst zum Tisch und setzte sich. Als Jonan zurückkam, waren seine Haare feucht, und er wirkte munter.
»Du kannst gern nach Hause gehen und dich ein bisschen hinlegen«, sagte sie und nippte an ihrer Tasse.
»Nicht nötig. Ich habe ja meine Ration Schlaf bekommen. Sie hingegen müssen hundemüde sein.«
Die Vorstellung, sich hinzulegen, ohne dass James in ihrer Nähe war, schreckte sie eher ab. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass es besser wäre wachzubleiben.
»Ich fahre lieber zum Kommissariat und gehe noch mal alle Informationen durch. Außerdem kriegen wir heute den Bericht darüber, was auf den Computern der Mädchen war«, sagte sie und unterdrückte ein Gähnen.
Als sie das Gasthaus verließen, fegten feuchte Böen über die Straße, und hoch über ihren Köpfen zogen dunkle Regenwolken auf. Amaia hob den Blick und entdeckte zu ihrer Verwunderung einen Falken, der in hundert Meter Höhe reglos in der Luft schwebte. Er schien sie herausfordernd, ja geradezu verächtlich anzusehen, als könnte er bis auf den Grund ihrer Seele blicken. Die Ruhe und Unerschrockenheit, mit der dieser Jäger dem Wetter trotzte, beunruhigte sie zutiefst, weil sie sich selber wie ein dünnes Blatt fühlte, das dem launischen Wind hilflos ausgesetzt war.
»Alles okay, Chefin?«
Überrascht stellte sie fest, dass sie mitten auf der Straße stehen geblieben war.
»Fahren wir zum Kommissariat«, sagte sie und stieg ins Auto.
Es fiel ihr nicht leicht, zu erklären, warum sie nach Huesca gefahren waren, dafür waren die Ergebnisse zu dürftig. Trotzdem fand Iriarte, dass es eine gute Idee gewesen war.
»Eine Eingebung, die zu nichts geführt hat«, befand Amaia. »Habt ihr was?«
»Subinspector Zabalza und ich haben uns mit den Computern der Mädchen beschäftigt. Auf den ersten Blick gab es kein Indiz dafür, dass sie in den gleichen sozialen Netzwerken aktiv waren oder gemeinsame Freunde hatten. Ainhoas Computer hatte niemand angerührt, Carlas hingegen schon. Nach ihrem Tod hat ihre kleine Schwester ihn übernommen und fast alles gelöscht. Trotzdem konnten wir rekonstruieren, welche Websites sie besucht hatte. Alle drei Mädchen lasen regelmäßig Blogs zu Mode und Stil, allerdings nicht dieselben. Alle waren auch häufig in sozialen Netzwerken unterwegs, vor allem auf Tuentí, aber dort sind die Gruppen fast alle geschlossen. Keine Hinweise auf Perverse, Pädophile oder Cyber-Verbrecher.«
»Sonst noch was?«
»Nicht viel. Das Labor in Saragossa hat angerufen. Auf der Schnur wurden doch Hautreste gefunden, die von einer Ziege stammen, und auf diesen Hautresten ist offenbar eine Substanz, die jetzt näher untersucht werden soll.«
»Das ist alles? Eine unbekannte Substanz auf einem Stück Ziegenhaut?«, fragte Amaia
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