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Das Echo dunkler Tage

Das Echo dunkler Tage

Titel: Das Echo dunkler Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dolores Redondo
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Windschutzscheibe, was ihre melancholische Stimmung noch verstärkte.
    »Etwas blockiert die Ermittlungen«, murmelte sie.
    Wut stieg in ihr auf wie ein heißer Windstoß bei einem Brand, vermischt mit einer Angst, die alle Logik außer Kraft setzte und sie zur Flucht drängte, zur Flucht an einen Ort, an dem sie sicher war. Das Böse lauerte ihr nicht mehr irgendwo auf, das Böse saß ihr bereits im Nacken, hüllte sie ein wie Nebel, machte sich lustig über ihre Angst. Sie spürte seine Präsenz, spürte sie als Krankheit und Tod. Alarmglocken schrillten in ihr, aber sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie legte den Kopf aufs Lenkrad und verharrte einige Minuten so, nahm wahr, wie die Wut und die Angst Besitz von ihr ergriffen. Ein Klopfen riss sie aus dem Schlaf. Sie drückte auf den Knopf, um die Scheibe herunterzulassen, bemerkte aber, dass die Zündung noch nicht an war, also öffnete sie die Tür. Eine junge Polizistin in Uniform beugte sich zu ihr herunter.
    »Alles in Ordnung, Inspectora Salazar?«
    »Ja, alles bestens. Ich bin nur müde.«
    Sie nickte, als wüsste sie, wovon sie sprach.
    »Wenn Sie so müde sind, sollten Sie vielleicht nicht Auto fahren. Soll ich dafür sorgen, dass man Sie nach Hause bringt?«
    »Nicht nötig«, antwortete Amaia und bemühte sich, etwas munterer zu wirken. »Vielen Dank!«
    Sie startete den Motor, verließ unter den wachsamen Augen der Beamtin den Parkplatz und fuhr eine Weile durch Elizondo. Über die Santiago-Straße und die Francisco-Joaquín-Iriarte-Straße bis zum Marktplatz, vorbei am Giltxaurdi-Stadion bis zur Menditurri-Straße, wieder zurück zur Santiago-Straße, dann auf der Alduides-Straße bis zum Friedhof. Dort hielt sie am Eingang und beobachtete auf dem angrenzenden Grundstück zwei Pferde, die bis zum Rand der Weide gelaufen waren und die Köpfe über den Zaun streckten.
    Das schmiedeeiserne Gittertor war geschlossen. Irgendwann kam ein Mann heraus, der in der einen Hand einen aufgespannten Regenschirm hielt, obwohl es nicht mehr regnete, und in der anderen ein fest geschnürtes Bündel. Ihr fiel wieder einmal ein, dass die Leute auf dem Land und von der Küste nie Tüten benutzten, sondern alles, was sie tragen mussten – Wäsche, Werkzeug, Essen –, in ein Tuch oder in ihre Arbeitskleidung wickelten und es mit einer Schnur zusammenbanden, sodass man nicht erkennen konnte, was sie dabeihatten. Der Mann ging in Richtung Stadt. Als sie bemerkte, dass das Friedhofstor nicht ins Schloss gefallen war, stieg sie aus und machte es zu. Sie warf noch rasch einen Blick in das Totendorf, stieg wieder ins Auto und fuhr los.
    Was immer sie suchte: Dort war es nicht.
    Eine Mischung aus Traurigkeit und Zorn wühlte sie innerlich auf, ihr Herz pochte so stark, dass die Luft im Innern des Wagens nicht mehr auszureichen schien, um ihre Lungen zu versorgen. Verstört seufzte sie auf und ließ die Fensterscheiben herunter. Die Tropfen, die außen daran gehaftet hatten, spritzten ins Wageninnere. In diesem Augenblick klingelte das Handy, das auf dem Beifahrersitz lag. Genervt fuhr sie langsamer und nahm es in die Hand. Es war James.
    »Verdammt! Könnt ihr mich nicht mal eine Minute in Ruhe lassen?«, schimpfte sie. Sie stellte das Handy auf stumm und warf es auf den Rücksitz. Am liebsten wäre sie auf James losgegangen, so wütend war sie auf ihn. Warum hielten alle sich für so schlau? Warum glaubten alle, sie wüssten, was gut für sie war? Engrasi, Ros, James, Dupree, die Polizistin eben.
    »Ihr könnt mich alle mal«, flüsterte sie. »Schert euch zum Teufel, und lasst mich in Ruhe!«
    Sie fuhr in die Berge. Die kurvenreiche Straße verlangte ihre volle Konzentration, was ihre Nerven beruhigte. Sie musste an ihre Studienzeit denken, an den Druck vor den Prüfungen, der sie manchmal so sehr aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, dass sie sich nichts mehr hatte merken können. Auch damals war sie durch die Gegend gefahren, um sich zu beruhigen, manchmal bis Javier oder sogar bis Eunate. Danach hatte sich ihre Nervosität oft in Luft aufgelöst, und sie hatte weiterlernen können.
    Sie erkannte die Gegend wieder, in der sie die Förster getroffen hatte, bog in den Waldweg ein und folgte ihm einige Kilometer. Immer wieder musste sie Pfützen ausweichen, die sich auf dem lehmigen Boden hielten wie kleine Seen. An einer etwas trockeneren Stelle hielt sie an. Beim Aussteigen hörte sie das Vibrieren des Handys. Sie ignorierte es, knallte die Tür zu und ging zu Fuß weiter.

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