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Das Echo dunkler Tage

Das Echo dunkler Tage

Titel: Das Echo dunkler Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dolores Redondo
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Inspectora Salazar?«
    »Hallo, Aloisius«, erwiderte sie und musste lächeln. Es überraschte sie, wie sehr er sich freute, ihre Stimme zu hören.
    »Alles okay bei dir?«
    »Nein, mon ami, nichts ist okay.«
    »Ich höre.«
    Die nächste halbe Stunde sprach sie ohne Punkt und Komma, versuchte den Stand der Ermittlungen zusammenzufassen, ohne etwas zu vergessen, legte ihm alle Theorien dar, die sie erstellt und wieder verworfen hatte. Als sie fertig war, kam ihr die Stille in der Leitung so absolut vor, dass sie schon Angst hatte, die Verbindung sei unterbrochen worden. Schließlich hörte sie Aloisius tief einatmen.
    »Inspectora Salazar, du bist mit Sicherheit die beste Ermittlerin, die ich je kennengelernt habe, und ich habe viele kennengelernt. Was dich so gut macht, ist nicht deine Fähigkeit, alle Polizeitechniken vorbildlich anzuwenden. Darüber haben wir schon mal gesprochen, erinnerst du dich? Was dich so gut macht – und das ist bestimmt auch der Grund, warum dein Chef dir die Ermittlungen übertragen hat –, ist dein natürlicher Spürsinn, und dieser natürliche Spürsinn, mon amie, unterscheidet einen guten Polizisten von einem brillanten. Du hast jede Menge Informationen gesammelt, du hast ein Täterprofil erstellt, wie kein FBI-Agent es besser könnte, du hast die Ermittlungen Schritt für Schritt vorangetrieben. Aber eines habe ich nicht gehört: Was sagt dir dein Bauch? Dein Instinkt? Was nimmst du wahr? Ist er in der Nähe? Ist er krank? Hat er Angst? Wo wohnt er? Wie kleidet er sich? Was isst er? Glaubt er an Gott? Hat er eine gute Verdauung? Hat er regelmäßig Sex? Und: Wie hat das alles angefangen? Wenn du innehalten und nachdenken würdest, könntest du all diese Fragen beantworten, da bin ich mir sicher. Aber bevor du das tust, musst du dir zunächst die wichtigste Frage beantworten: Was zum Teufel blockiert dich? Sag jetzt nicht, dieser eifersüchtige Polizist, denn da stehst du drüber.«
    »Ich weiß«, flüsterte sie leise.
    »Denk daran, was du in Quantico gelernt hast: Wenn du blockiert bist, mach ein Reset, fang wieder von vorne an. Manchmal ist das die einzige Möglichkeit, ein Gehirn wieder zum Laufen zu bringen, ob nun ein menschliches oder ein kybernetisches. Mach ein Reset, Inspectora! Schalte aus und wieder ein! Fang wieder ganz von vorn an!«
    Als sie auf den Flur trat, sah sie gerade noch, wie Montes in Richtung Aufzug ging. Sie wartete ab, bis sie das typische Zischgeräusch der Türen hörte, und begab sich dann in Zabalzas Büro.
    »War Inspector Montes hier?«
    »Ja, ist gerade gegangen. Soll ich ihn zurückholen?«, fragte der Subinspector und stand auf.
    »Nein, nicht nötig. Worüber haben Sie gesprochen?«
    Zabalza zuckte mit den Schultern.
    »Über nichts Besonderes: den Fall, Neuigkeiten, die Ergebnisse der heutigen Versammlung. Und ein bisschen über das Spiel Barça gegen Madrid gestern Abend.«
    Sie sah ihn durchdringend an und spürte, dass er unsicher wurde.
    »Hab ich was falsch gemacht? Montes gehört doch zum Team, oder nicht?«
    Amaia sah ihn weiterhin schweigend an. In ihrem Kopf hallte noch nach, was Special Agent Dupree gesagt hatte.
    »Keine Sorge. Alles okay.«
    Im Fahrstuhl hing noch Montes’ Rasierwasserduft in der Luft. Während sie nach unten fuhr, fragte sie sich, ob das, was sie gerade zu Zabalza gesagt hatte, nicht eine Lüge war, ob sie sich nicht doch Sorgen machen sollte, weil gar nichts okay war.

36
    D er Dauerregen hatte das Tal so durchtränkt, dass es nie wieder trocknen zu können schien. Alles hatte einen feuchten Glanz, die Sonne schien scheu durch die Wolken und entzog den Wipfeln der kahlen Bäume Dampfschwaden. Noch immer hallte in Amaia Duprees Frage nach: Was blockiert die Ermittlungen? Wie immer war sie beeindruckt von seinem messerscharfen Verstand. Nicht umsonst war Dupree trotz seiner extravaganten Methoden einer der besten Analytiker des FBI. In einem gerade mal halbstündigen Telefongespräch hatte er mit der Präzision eines Chirurgen den Fall und sie seziert, wie jemand, der blind die richtige Stelle auf einer Landkarte markiert. Und sie hatte es gewusst, bevor sie auch nur seine Nummer gewählt hatte. Ja, Special Agent Dupree: Etwas blockierte die Ermittlungen, aber sie war sich nicht sicher, ob sie sehen wollte, welche Stelle er mit dem Pin markiert hatte.
    Sie stieg ins Auto, schloss die Tür, stellte den Motor aber nicht an. Es war kalt, der feine Regen bildete mikroskopisch kleine Eisperlen auf der

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