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Das Echo dunkler Tage

Das Echo dunkler Tage

Titel: Das Echo dunkler Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dolores Redondo
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Ros. »Ist nicht so schlimm«, fügte sie hinzu, als Engrasi sich zu ihrem Fuß hinunterbeugen wollte. »Jedenfalls hat Amaia oben einen Opferstein abgelegt und Mari gesehen.«
    Lächelnd wandte sich Engrasi an Amaia.
    »Erzähl!«
    Amaia sah, wie Flora spöttisch ihr Gesicht verzog. Um ihr Unbehagen zu lindern, atmete sie tief durch.
    »Als ich oben an der Höhle ankam, war da eine Frau«, begann sie und überlegte sich jedes Wort. »Ich habe eine Weile mit ihr geplaudert, das war alles.«
    »Sie war grün gekleidet und sagte, sie hätte in der Gegend ein Haus. Und als Amaia sich auf den Rückweg machte, war sie plötzlich weg«, erläuterte Ros.
    Engrasi sah Amaia strahlend an.
    »Na also!«
    »Aber Tante Engrasi«, protestierte sie.
    »Wenn ihr mit eurem Volksmärchen fertig seid, könnten wir ja essen, sonst brennt uns der Braten noch an«, ätzte Flora. Sie schenkte Wein ein und reichte allen außer Ros ein Glas. An Víctor hatte sie erst gar nicht gedacht.
    »Víctor, im Kühlschrank sind andere Getränke, nimm dir, was du magst«, versuchte Engrasi die Situation zu retten.
    »Entschuldige, dass ich dir nichts angeboten habe, Víctor«, heuchelte Flora, »aber im Gegensatz zu allen anderen hier, ist das hier nicht mein Zuhause.«
    »Red keinen Unsinn, Flora. Meine Nichten sind hier immer willkommen. Alle Nichten wohlgemerkt.«
    »Danke, Tante Engrasi, ich war mir nämlich tatsächlich nicht sicher.«
    Engrasi atmete tief durch, bevor sie antwortete.
    »Solange ich lebe, werdet ihr in meinem Haus immer willkommen sein. Ich habe dich jedenfalls nie feindselig behandelt. Und manchmal, liebe Flora, geht die Zurückweisung nicht vom Gastgeber aus, sondern vom Gast.«
    Flora schwieg und nahm einen großen Schluck.
    Alle setzten sich an den Tisch, ließen es sich schmecken und lobten Engrasis Kochkünste. Sie hatte ein Milchlamm gemacht, dazu Ofenkartoffeln und eingelegte Paprika. Die meiste Zeit über unterhielten sich James und Víctor über Motorräder, was Amaia freute und Flora sichtlich ärgerte.
    »Für mich ist das Restaurieren von Motorrädern eine Kunst.«
    »Ehrlich gesagt geht’s dabei eher dreckig zu, vor allem am Anfang. Ich würde eher von Reparieren als von Restaurieren sprechen. Die Lube zum Beispiel habe ich von jemandem in Bermeo gekauft, der sie dreißig Jahre lang im Stall stehen hatte. Da hatten zig verschiedene Tiere draufgeschissen.«
    »Víctor«, schimpfte Flora.
    Die anderen lachten. James ließ nicht locker.
    »Aber wenn du sie erst mal hast, baust du sie auseinander und schleifst die Teile ab, oder? Das macht bestimmt jede Menge Spaß.«
    »Ja, tut es, aber das ist noch der einfachere Part. Was richtig Zeit kostet, ist die Suche nach Ersatzteilen. Und wenn sie nicht zu bekommen sind, muss ich sie eigenhändig herstellen.«
    »Zum Beispiel?«
    »Am schwersten zu finden sind die Tanks. Oft bleibt nämlich ein bisschen Benzin drin, und das zerfrisst dann im Laufe der Jahre die Innenwand. Früher waren die Dinger nicht aus rostfreiem Stahl, sondern aus beschichtetem Weißblech, und diese Schicht löste sich im Laufe der Jahre ab, wodurch das Metall rostig wurde und Splitter abbröckelten. Daher gibt es nicht mehr viele von diesen Tanks, und man muss schon wahre Wunder vollbringen, um die Innenwand wieder sauber und heil zu kriegen.«
    Engrasi wollte aufstehen, um den Tisch abzuräumen.
    »Bleib ruhig sitzen, Tante, ich mach das schon«, sagte Flora und legte eine Hand auf ihre Schulter. »Das Gespräch interessiert mich nicht die Bohne, da kann ich auch den Nachtisch holen.«
    »Eure Schwester hat eine ihrer wunderbaren Leckereien für uns gebacken«, erklärte Engrasi, als Flora in der Küche war.
    Víctor verstummte plötzlich und starrte sein leeres Glas an, als enthielte es die Antwort auf alle Fragen dieser Welt. Flora kam mit einem verpackten Tablett zurück. Feierlich deckte sie den Tisch und löste das weiche Papier. Ein süßlicher Duft verteilte sich im Raum. Während die anderen ihrer Bewunderung lautstark Ausdruck verliehen, hielt sich Amaia die Hand vor den Mund und sah ihre Schwester entgeistert an. Flora lächelte nur süffisant.
    »Txantxangorris! Ich liebe Txantxangorris«, rief James und nahm sich ein Stück.
    Amaia konnte sich vor Empörung kaum im Zaum halten. Am liebsten hätte sie ihre Schwester an den Haaren gepackt und ihr einen Kuchen nach dem anderen in den Mund gestopft. Sie senkte den Blick und riss sich zusammen, um sich nicht anmerken zu lassen, wie es in ihr

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