Das Echo dunkler Tage
ein Teppich aus Smaragden.
Sie stiegen aus und folgten dem Geräusch des Flusses. Ros ging voraus, drehte sich immer wieder um, um sicherzustellen, dass Amaia und James auch nicht müde wurden und zurückfielen. Bei James hätte sie sich keine Sorgen zu machen brauchen. Er war von der Schönheit des winterlichen Waldes so hingerissen, dass er hellwach war und die Worte nur so aus ihm heraussprudelten. Nach einer dicht mit Farnen bewachsenen Stelle ging es plötzlich bergauf.
»Wir sind gleich da«, verkündete Ros und deutete auf einen Felsen. »Da drüben ist es.«
Der Pfad war wesentlich steiler, als sie gedacht hatten. Scharfkantige Felsen bildeten eine natürliche Treppe, die sich den Hang hinaufschlängelte. An jeder Biegung wurde das Gestrüpp aus Ginster- und Schwarzdornbüschen noch dichter, das Fortkommen noch beschwerlicher. Nach einer weiteren Kurve kamen sie schließlich auf einer Lichtung heraus, die mit dünnem Gras und gelben Flechten bewachsen war. Ros setzte sich auf einen Stein und sah die anderen mit schmerzverzerrtem Gesicht an.
»Bis zur Höhle sind es noch gut zwanzig Meter da rauf«, erklärte sie und zeigte auf den Pfad, der zwischen dem Ginster kaum zu erkennen war. »Aber für mich heißt es: bis hierhin und nicht weiter; ich habe mir nämlich den Fuß verdreht.«
James ging vor ihr in die Hocke.
»Ist nicht weiter tragisch«, sagte Ros lächelnd. »Der Stiefel hat das Schlimmste verhindert. Trotzdem sollten wir bald umkehren, bevor der Knöchel anschwillt, sonst schaffe ich es den Berg nicht mehr runter.«
»Dann lass uns gleich umkehren«, sagte Amaia.
»Kommt nicht in Frage. Ich rühre mich nicht vom Fleck. Jetzt sind wir so weit gekommen, da wirst du doch nicht aufgeben, bevor du beim Felsen warst.«
»Ich bleibe bei ihr«, schlug James vor, und Amaia gab nach.
Tapfer kämpfte sie sich durch die Disteln und fluchte über die Stacheln, die über ihren Parka kratzten wie lange Fingernägel. Plötzlich endete der Pfad an einem niedrigen, aber breiten Höhleneingang, der wie ein schiefes Lächeln auf dem Gesicht des Berges wirkte. Rechts erhoben sich zwei merkwürdige Felsen. Der erste sah aus wie eine Frau mit großen Brüsten und ausladenden Hüften, die aufrecht dastand und ins Tal schaute; der zweite wie ein Opfertisch, den Wind und Regen glatt poliert hatten. Darauf lagen fast angeordnet wie bei einem Schachspiel verschiedenfarbige Steine. Daneben stand eine Frau um die dreißig, die einen solchen Kieselstein in der Hand hielt, und sah den Hang hinab. Sie lächelte, als sie Amaia erblickte, grüßte freundlich und legte den Stein ab.
»Hallo!«
Amaia fühlte sich unbehaglich, als wäre sie in die Privatsphäre der Frau eingedrungen.
»Hallo!«
Die Frau lächelte wieder, als könnte sie ihre Gedanken lesen.
»Suchen Sie sich einen Stein«, forderte sie Amaia auf und zeigte zum Pfad.
»Was?«
»Frauen müssen einen Stein mitbringen.«
»Stimmt, das hat meine Schwester mal erwähnt. Aber ich dachte, man muss ihn von zu Hause mitbringen.«
»Eigentlich schon, aber wenn man es vergessen hat, darf man auch einfach unterwegs einen aufheben.«
Amaia bückte sich und hob einen auf, ging zu dem Felsentisch und legte ihn zu den anderen. Sie wunderte sich darüber, wie viele dort schon lagen.
»Stammen all diese Steine von Frauen?«
»Ja.«
»Unglaublich.«
»Wir leben in unsicheren Zeiten. Wenn die neuen Formeln nicht mehr funktionieren, greift man auf die alten zurück.«
Amaia kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, weil die Frau die gleichen Worte gebrauchte wie neulich ihre Tante.
»Sind Sie aus der Gegend hier?«, fragte Amaia und betrachtete sie näher. Sie trug ein grünbraunes Seidenkleid und darüber einen moosfarbenen Wollschal. Ihre blonden Haare waren so lang wie die ihren, und ein goldenes Diadem verhinderte, dass sie ihr ins Gesicht fielen.
»Nein, aber ich komme seit langem hierher, weil ich hier ein Haus habe. Allerdings bleibe ich meistens nicht lang, sondern bin mal hier, mal da.«
»Ich heiße Amaia.«
Sie streckte der Frau ihre Hand entgegen.
»Maya«, sagte die Frau und nahm Amaias Hand. Ihre Haut war weich, die Finger übersät mit Ringen, am Handgelenk klimperten unzählige Armreife wie kleine Glöckchen. »Sie sind aus der Gegend, oder?«
»Ich wohne in Pamplona, bin nur beruflich hier«, antwortete Amaia ausweichend.
Maya lächelte sie seltsam an, irgendwie verführerisch.
»Ich glaube, Sie sind von hier.«
»Merkt man mir das so sehr
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