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Das Echo dunkler Tage

Das Echo dunkler Tage

Titel: Das Echo dunkler Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dolores Redondo
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Diagnose nicht vorausgesehen hatte.«
    Amaia sah Flora in die Augen.
    »Ich konnte nichts tun, niemand konnte etwas tun. Es war eine richterliche Entscheidung.«
    »Mit der du einverstanden warst«, warf Flora ihr vor.
    »Flora, hör zu. Ich habe lange gebraucht, um es laut aussprechen zu können, und es tut mir in der Seele weh, aber: Mutter will mich töten.«
    »Du bist ja verrückt! Und bösartig!«
    »Mutter will mich töten«, wiederholte Amaia, als könnte sie so das Böse bannen.
    James legte ihr eine Hand auf die Schulter.
    »Liebling, du solltest nicht so reden. Damals warst du in Gefahr, aber heute bestimmt nicht mehr.«
    »Sie hasst mich«, flüsterte Amaia, als hätte sie ihn nicht gehört.
    »Es war ein Unfall«, sagte Flora, die sich noch immer nicht beirren ließ.
    »Es war kein Unfall. Sie wollte mich töten. Sie hat erst von mir abgelassen, als sie dachte, sie hätte es geschafft. Und dann hat sie mich im Mehltrog vergraben.«
    Flora sprang auf, stieß dabei mit der Hüfte gegen den Tisch, sodass die Gläser klirrten.
    »Du sollst verflucht sein, Amaia, verflucht bis ans Ende deiner Tage!«
    »Mein Leben war schon immer verflucht«, erwiderte Amaia müde.
    Flora nahm ihre Tasche von der Stuhllehne, stürmte aus dem Wohnzimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Sichtlich konsterniert murmelte Víctor eine Entschuldigung und folgte ihr. Die anderen blieben schweigend zurück, standen noch im Bann des Gewitters, das gerade über sie hereingebrochen war.
    Schließlich war es erneut James, der der Stimme der Vernunft Gehör zu verschaffen versuchte. Er nahm Amaia in die Arme.
    »Eigentlich sollte ich dir böse sein, weil du mir das alles nicht schon viel früher erzählt hast. Ich liebe dich, Amaia, und nichts wird das ändern, aber ich verstehe nicht, warum du dich mir nicht anvertraut hast. Sicher, was passiert ist, war sehr schmerzhaft für euch und besonders für dich. Aber findest du es nicht merkwürdig, dass ich in den letzten Tagen mehr über deine Familie erfahren habe als in den vergangenen fünf Jahren?«
    Engrasi faltete sorgfältig ihre Serviette zusammen, bevor sie das Wort ergriff.
    »James, manchmal ist der Schmerz so groß, sitzt so tief, dass man glaubt, ja wünscht, dass er für immer dortbleibt, dass er sich nie mehr meldet. Man will der Tatsache nicht ins Auge sehen, dass ein Schmerz, den man nur verdrängt, immer wiederkehren wird. Wie Überreste eines gesunkenen Schiffes, die nach und nach an den Strand unseres Lebens gespült werden und uns daran erinnern, dass unterm Wasser eine ganze Geisterflotte liegt. Du darfst deiner Frau nicht vorwerfen, dass sie es dir nicht erzählt hat. Vermutlich hat sie selbst es seit damals noch nie mit solcher Klarheit formuliert.«
    Amaia hob den Blick.
    »Ich bin müde«, sagte sie nur.
    »Wir müssen das jetzt zu Ende bringen, Amaia«, drängte James. »Ich weiß, es tut weh, aber ich kann dir nur raten, es aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Was passiert ist, ist schrecklich, aber deine Mutter ist eine kranke Frau, und ich glaube nicht, dass sie dich hasst. Dass psychisch kranke Menschen sich ausgerechnet gegen die wenden, die sie am meisten lieben, kommt häufig vor. Gut, sie hat dich angegriffen, so wie sie auch diese Krankenschwester angegriffen hat, aber das war in einem Anfall von Wahn, es hatte nichts Persönliches.«
    »Nein, James. Die Krankenschwester hatte lange blonde Haare, war in meinem Alter und besaß meine Statur. Während meine Mutter auf sie einschlug, hat sie gelacht und immer wieder meinen Namen geschrien.«

41
    D as Handy brummte nervtötend.
    »Guten Abend, Inspectora Salazar!«
    »Ah, Dr. Takchenko«, sagte sie, als sie die Stimme erkannte. »Ich hatte gar nicht so schnell mit Ihrem Rückruf gerechnet. »Haben Sie sich die Bilder angesehen?«
    »Ja, haben wir«, antwortete sie ausweichend.
    »Und?«
    »Wir sind im Hotel Baztán. Sie sollten so schnell wie möglich vorbeikommen.«
    »Sie sind in Elizondo?«, fragte Amaia überrascht.
    »Ja, weil ich mit Ihnen persönlich sprechen muss.«
    »Wegen der Bilder?«
    »Ja, aber nicht nur. Wir sind in Zimmer 202.«
    Sie legte auf.
    Der Parkplatz des Hotels war ungewöhnlich leer für einen Sonntagabend. Nur im hinteren Teil, am Eingang des Restaurants, standen mehrere Autos. Das Licht in der Cafeteria hingegen war bereits gedämpft, die Stühle hochgestellt, und zwei Putzfrauen schrubbten den Boden. Statt des jungen Mädchens von neulich stand jetzt ein

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