Das Echo dunkler Tage
Zeit vergangen. Sie setzte sich vor das Feuer, das zögerlich aufflammte, und dann … passierte es. Reset. Ein guter Rat, Psycho-Agent Dupree, dachte sie. Die Wirkung hatte nicht lange auf sich warten lassen.
Fermín Montes wachte in dem Hotelzimmer auf, in dem er die Nacht mit Flora verbracht hatte. Auf dem Kissen lag ein Zettel: »Du bist wunderbar. Ich rufe dich später an. Flora.« Er nahm ihn und küsste ihn. Lächelnd rekelte er sich, bis er mit der Hand an das gepolsterte Kopfende des Bettes stieß. Dann stand er auf, trällerte ein Liedchen vor sich hin und stellte sich unter die Dusche. Er konnte es immer noch nicht glauben, dass er diese Frau kennengelernt hatte. Zum ersten Mal seit einem Jahr ergab das Leben wieder Sinn. Davor war er ein lebender Toter gewesen, ein Zombie, der nach außen hin den Schein gewahrt hatte. Flora hatte das Wunder seiner Auferstehung herbeigeführt, hatte sein Herz wieder zum Schlagen gebracht, hatte auf ihn gewirkt wie ein menschlicher Defibrillator, der ihn mit einer starken Entladung wieder ins Leben zurückgeholt hatte. Wie eine Urgewalt war Flora in sein Leben eingedrungen und hatte ihm wieder eine Richtung gegeben. Ihr starker, unbezähmbarer Charakter hatte ihm von Anfang an imponiert, ihre Qualitäten einer Selfmade-Frau, die das Familiengeschäft wieder zum Laufen gebracht hatte. Erneut musste er lächeln, als er an sie dachte, an ihren warmen Körper unter dem Laken. Fast hatte er sich vor diesem Moment gefürchtet, den er andererseits so sehr herbeigesehnt hatte, denn das Gift, das ihm seine Frau durch ihre Trennung verabreicht hatte, war sukzessive in seine Blutbahn gelangt und hatte wie eine biochemische Keule gewirkt, die ihm jede sexuelle Beziehung unmöglich gemacht hatte. Sein Gesicht verdüsterte sich, als er sich daran erinnerte, mit welchen Worten sie ihm den Laufpass gegeben hatte. Seine jämmerliche Reaktion trieb ihm noch heute die Schamesröte ins Gesicht. Er hatte die zehn gemeinsamen Ehejahre in die Waagschale geworfen, hatte sich vor sie hingekniet, geweint, sie angefleht, doch bitte nicht zu gehen, hatte in einem letzten Akt der Verzweiflung nach dem Grund gefragt, als könnte eine rationale Erklärung ihn vor dem Untergang bewahren. Stattdessen hatte die Schlampe noch einmal eine ganze Breitseite auf ihn abgefeuert.
»Du willst wissen, warum? Weil mich der andere fickt wie ein Weltmeister. Und wenn wir fertig sind, besorgt er mir’s gleich noch mal.« Dann war sie gegangen, hatte die Tür hinter sich zugeknallt, und er hatte sie erst vor Gericht wiedergesehen.
Er wusste, dass dieses Gift eine Mischung aus Überdruss, Groll und Verachtung war, hervorgerufen durch die letzten Zuckungen seiner mit Füßen getretenen Liebe. Trotzdem hatten sich ihre Worte in ihm eingekapselt und in seinen Ohren gebrummt wie ein Tinnitus. Bis er Flora kennengelernt hatte.
Wieder umspielte ein Lächeln seine Lippen, während er sich rasierte. Flora hatte einfach an alles gedacht. Um Gerede zu vermeiden, hatte sie als Treffpunkt dieses Hotel vorgeschlagen. Eine diskrete, selbstsichere Frau und so schön, dass es ihm fast den Atem nahm. Sie hatte sich ihm hingegeben, und er hatte ihre Leidenschaft erwidert. Wie ein richtiger Mann. Seit langem hatte er sich nicht mehr so wohlgefühlt. Wenn der Fall gelöst war, würde er sich nach Elizondo versetzen lassen.
Amaia zog sich warm an und verließ das Haus. Es regnete nicht an diesem Morgen, aber ein feuchter Nebel überzog die Straßen mit einer traurigen Patina. Die Leute gingen gebeugt wie unter einer großen Last, suchten Schutz in der Wärme der Cafés. Gleich nach dem Aufstehen hatte sie in San Sebastián angerufen, um nachzufragen, wie Josune mit der Analyse vorankam.
»Geht alles seinen Gang«, hatte Josune geantwortet. »Hör mal, wieso hast du mir nicht gesagt, dass Subinspector Etxaide so gut aussieht? Dann hätte ich mich nämlich noch schnell depiliert.«
Es war ein Scherz, den sie seit ihrer gemeinsamen Studienzeit immer wieder angebracht hatte, aber Amaia spürte, dass Josune tatsächlich an Jonan interessiert war. Sie wollte sie schon warnen, dass es vergebliche Liebesmüh wäre, aber sie überlegte es sich anders.
Sie zögerte den Beginn ihres Arbeitstages hinaus. Statt zum Kommissariat fuhr sie zur Santiago-Kirche, doch sie war verschlossen. Also betrat sie den Garten mit dem Kinderspielplatz, der um diese Uhrzeit verwaist war. Sie wunderte sich über die vielen Katzen, die unter der Kirche zu wohnen
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