Das Echo dunkler Tage
antwortete Amaia teils überrascht, teils verärgert über Floras verächtlichen Ton.
»Unsere kleine Schwester hat mal wieder Probleme mit diesem Nichtsnutz von Freddy. In letzter Zeit hängt sie ständig am Telefon und versucht rauszufinden, wo er ist. Oder sie heult sich die Augen aus. Ich habe Tacheles mit ihr geredet, aber sie will ja nichts hören. Und dann, zwei Wochen ist das her, wie aus heiterem Himmel, erscheint sie plötzlich nicht mehr zur Arbeit, weil sie angeblich krank sei. Krank, dass ich nicht lache … Krank vor Wut vielleicht über diesen Weltmeister der Playstation, diesen Taugenichts, der ihr das Geld aus der Tasche zieht. Den ganzen Tag spielt er mit diesem Ding und zieht sich dabei einen Joint nach dem anderen rein. Der krönende Abschluss kam dann vor einer Woche, als unsere erlauchte Rosaura plötzlich hier auftaucht und von mir ausbezahlt werden will … Ich dachte, ich spinne! Sie meinte, sie könne nicht mehr mit mir zusammenarbeiten.«
Amaia sah ihre Schwester schweigend an.
»Statt dass dein kleines Schwesterlein diesem Idioten endlich den Laufpass gibt, soll ich sie auszahlen. Auszahlen!«, rief Flora entrüstet. »Sie müsste vielmehr mich entschädigen, dafür dass ich ihren ständigen Sermon ertragen musste, ihr Geheule, dieses Märtyrergesicht. Die leidende Seele hat sie gespielt, dabei hat sie sich das Leid selber eingebrockt. Und weißt du was? Besser so, ich habe zwanzig Angestellte, da kann ich so ein Gejammer nicht brauchen. Ich bin mal gespannt, ob man ihr bei ihrem neuen Job auch nur die Hälfte von dem durchgehen lässt, was sie sich hier erlaubt hat.«
»Flora, du bist ihre Schwester …«, sagte Amaia leise und nippte an ihrem Kaffee.
»Und für diese Ehre muss ich alles über mich ergehen lassen?«
»Nein, aber von einer Schwester darf man erwarten, dass sie mehr Verständnis hat.«
»Du meinst also, dass ich nicht verständnisvoll genug war?«, fragte Flora und hob beleidigt den Kopf.
»Ein bisschen mehr Geduld hättest du schon haben können.«
»Das schlägt dem Fass den Boden aus.«
Sie schnaubte und begann die Sachen auf ihrem Tisch zurechtzurücken.
»In den zwei Wochen, die sie nicht zur Arbeit erschienen ist, hast du sie da besucht? Hast du sie gefragt, was sie hat?«, setzte Amaia nach.
»Nein. Und du? Hast du sie vielleicht besucht und gefragt, was sie hat?«
»Habe ich nicht, hätte ich aber, wenn ich gewusst hätte, wie schlecht es ihr geht. Und komm schon, warum hast du sie nicht gefragt?«
»Weil ich die Antwort schon kannte: Dieser Scheißkerl ist an allem schuld. Wieso sollte ich nach etwas fragen, was jeder weiß?«
»Als es dir dreckig ging, haben wir auch alle gewusst, was los war, aber damals haben sich Ros und ich um dich gekümmert.«
»Und dann gemerkt, dass ich euch eigentlich nicht gebraucht habe. Ich habe nämlich das einzig Richtige getan und die Sache beendet. Wie sagt man so schön: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.«
»Nicht jeder ist so stark wie du, Flora.«
»Quatsch. Die Frauen in dieser Familie waren immer stark«, sagte sie, zerriss lautstark ein Blatt und warf es in den Papierkorb.
Amaia spürte Floras Groll geradezu körperlich. Ihre Schwester hielt sie und Ros also für schwache, verschüchterte, irgendwie halbfertige Wesen und sah mit einer Mischung aus Verachtung und falschem Mitleid auf sie herab.
Während Flora die Kaffeetassen abwusch, fiel Amaias Blick auf großformatige Fotos, die aus einem Umschlag ragten. Sie zeigten Flora in Konditorkleidung, wie sie lächelnd einen klebrigen Teig knetete.
»Sind die für ein neues Buch?«
»Ja.« Floras Stimme klang jetzt etwas milder. »Eins davon soll auf den Umschlag. Die wurden mir heute zugeschickt.«
»Dann war dein letztes Buch also ein Erfolg.«
»Kann man so sagen, jedenfalls will der Verlag in dieser Richtung weitermachen: Konditorkunst für jedermann, Rezepte, die jede Hausfrau hinkriegt.«
»Stell dein Licht nicht so unter den Scheffel. Meine Freundinnen in Pamplona haben alle dein Buch und sind begeistert.«
»Wenn unserer Großmutter jemand gesagt hätte, dass ich mal berühmt würde, weil ich anderen die Zubereitung von Magdalenas und Rosquillas beibringe, hätte sie es nicht geglaubt.«
»Die Zeiten haben sich eben geändert. Heutzutage ist hausgemachtes Gebäck etwas ganz Besonderes.«
Es war nicht zu übersehen, dass Flora sich durch das Lob geschmeichelt fühlte und ihren Erfolg genoss. Lächelnd sah sie ihre
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