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Das Echo dunkler Tage

Das Echo dunkler Tage

Titel: Das Echo dunkler Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dolores Redondo
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an die Arbeit. Die Fotos vom Friedhof erbrachten trotz hoher Auflösung nichts Neues. Die Beerdigung war gut besucht gewesen, ganze Familien waren erschienen. Amaia kannte viele der Trauergäste seit ihrer Kindheit, war mit ihnen zur Schule gegangen oder befreundet gewesen. Auch alle Lehrer, die Direktorin der örtlichen Schule und einige Gemeinderäte waren gekommen. Ainhoas Mitschülerinnen und Freundinnen standen im Kreis und umarmten sich gegenseitig. Keine Spur von gesuchten Mördern oder Kinderschändern, nirgends ein einsamer Wolf mit funkelnden Reißzähnen, der sich die Lippen leckte. Amaia warf die Fotos auf den Tisch. Wie so oft war der ganze Aufwand umsonst gewesen.
    »Die Eltern von Carla Huarte waren nicht auf der Beerdigung. Auch bei den Elizasus haben sie sich anschließend nicht blicken lassen«, sagte Montes.
    »Was soll daran merkwürdig sein?«, fragte Iriarte.
    »Immerhin haben die Familien sich gekannt, wenn auch nur vom Sehen, und wenn man bedenkt, unter welchen Umständen die beiden Mädchen zu Tode gekommen sind …«
    »Vielleicht wollten sie einfach irgendwelchen Kommentaren aus dem Weg gehen. Bis vor kurzem haben sie Miguel Angel de Andrés für den Mörder ihrer Tochter gehalten, und jetzt stellt sich raus, dass er es doch nicht war und bald aus dem Gefängnis kommt.«
    »Mag sein«, gab Montes zu.
    »Jonan, was kannst du uns über Ainhoas Familie berichten?«, fragte Amaia.
    »Nach der Beerdigung haben die Eltern alle Trauergäste nach Hause eingeladen. Sie sahen ganz schön mitgenommen aus und mussten sich gegenseitig stützen. Am schlimmsten dran ist der Junge, er konnte einem richtig leidtun. Saß nur da und hat auf den Boden gestarrt. Seine Eltern haben ihn keines Blickes gewürdigt.«
    »Offenbar geben sie ihm die Schuld an Ainhoas Tod. Wissen wir denn, ob er an dem Abend tatsächlich zu Hause war? Hätte er seine Schwester abholen können?«, fragte Zabalza.
    »Er hat mit Freunden Hausaufgaben erledigt, dann haben sie mit der Playstation gespielt; später ist noch ein Nachbarsjunge gekommen. Ich habe auch mit Ainhoas Freundinnen gesprochen. Sie haben die ganze Zeit geweint und gleichzeitig mit dem Handy telefoniert, eine merkwürdige Kombination. Wie dem auch sei, ihre Aussagen stimmen im Großen und Ganzen überein. Am Nachmittag hingen sie auf dem Dorfplatz herum, dann liefen sie ein bisschen durch die Gegend und trafen sich schließlich alle bei einer von ihnen, weil es dort einen ausgebauten Kellerraum gibt. Sie haben was getrunken, einige haben geraucht. Ainhoa nicht, aber es würde trotzdem erklären, warum ihre Haare und Kleidung nach Zigaretten gerochen haben. Es waren auch ein paar Jungs da, und die haben Bier getrunken. Ainhoa war die Erste, die aufbrach, offenbar musste sie am frühesten zu Hause sein.«
    »Hat ihr nicht viel genutzt«, bemerkte Montes.
    »Manche Eltern meinen, sie müssten nur dafür sorgen, dass ihre Töchter nicht zu spät nach Hause kommen, und schon ist die Gefahr gebannt. Dabei sollten sie vor allem abends nicht allein unterwegs sein. Die Eltern erreichen damit also nur, dass sie früher als der Rest der Clique aufbrechen, womit sie besonders gefährdet sind.«
    »Eltern sein ist nicht einfach«, murmelte Iriarte.

8
    A maia ging zu Fuß nach Hause. Sie wunderte sich, wie schnell es dunkel geworden war, fühlte sich irgendwie betrogen. Diese abrupt hereinbrechenden Winterabende machten sie ganz unruhig. Plötzlich schauderte sie, als hätte die Dunkelheit etwas Unheilvolles. Sie wünschte, sie hätte auf James gehört und sich statt der Lederjacke die Daunenjacke angezogen, aber sie hatte eben nicht wie ein Michelinmännchen aussehen wollen.
    Als sie das Wohnzimmer betrat, verscheuchte die heimelige Atmosphäre den Winter, der sich bei ihr eingeschlichen hatte wie ein blinder Passagier. Der Geruch des Kaminfeuers, die dicken Teppiche auf dem Holzboden und das Geplärre des Fernsehers gaben Amaia ein Gefühl von Geborgenheit. Bei Tante Engrasi kam man überhaupt nicht auf die Idee fernzusehen, weil immer irgendetwas Besseres zu tun war, und trotzdem lief ständig diese Kiste im Hintergrund, als unterhielten sich Geister, an die man zwar nicht glaubt, die man aber aus Gewohnheit duldet. Als Kind hatte sie einmal ihre Tante danach gefragt.
    »Weißt du, was ein Echo ist? Eine Stimme, die noch zu hören ist, obwohl sie tatsächlich längst verstummt ist. Der Fernseher ist das Echo der Welt.«
    Während Amaia noch ihren Erinnerungen nachhing, nahm James

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