Das Echo dunkler Tage
auch ihren Schulspind an, sprecht mit allen Freundinnen, aber ruft vorher bei den Eltern an, wenn sie minderjährig sind. Fahrt zu ihnen nach Hause, und bitte immer in Zivil, wir dürfen niemanden verprellen, der mit uns zusammenarbeiten soll. Und Inspector Iriarte: vorerst kein Wort zu Anne Arbizus Eltern, offensichtlich wussten sie nichts vom Doppelleben ihrer Tochter.«
Sie sah auf die Uhr.
»In drei Stunden will ich euch alle in der Kirche und auf dem Friedhof sehen. Wir machen die gleiche Aktion wie bei Ainhoa. Danach kommt ihr sofort zurück ins Kommissariat. Jonan hat ein Programm, mit dem man die Auflösung der Fotos erhöhen kann. Sobald er die Bilder durchgejagt hat, sehen wir sie uns gemeinsam an. Jonan, du durchforstest dann Annes Computer. Geh bitte gründlich vor, und wenn es die ganze Nacht dauert!«
»Alles klar, Chefin.«
»Apropos, gibt’s was Neues von den Geisterjägern aus Huesca?«
»Mit denen treffe ich mich morgen, wenn sie aus den Bergen zurückkommen. Ich hoffe, dass sie dann schon was sagen können.«
»Das hoffe ich auch. Hast du sie hierher bestellt?«
»Wollte ich, aber diese russische Expertin ist anscheinend allergisch gegen Polizeireviere. Also treffen wir uns jetzt in dem Hotel, in dem sie untergebracht sind. Im …« – er zögerte und sah in seinen Notizen nach – »… Baztán.«
»Das kenne ich. Ich werde dazustoßen«, sagte Amaia und schrieb sich den Termin in ihren Organizer.
Zabalza kam mit mehreren Faxbögen herein und legte sie auf den Tisch.
»Inspectora, die Presseabteilung in Pamplona hat angerufen. Mehrere Medien wollen vom Trauergottesdienst und von der Beerdigung berichten. Man empfiehlt uns, eine Presseerklärung herauszugeben.«
»Dafür ist Montes zuständig«, sagte Amaia und blickte sich um. »Darf man erfahren, wo er jetzt schon wieder steckt?«
»Er hat heute Morgen angerufen und Bescheid gesagt, dass es ihm nicht so gut geht. Er will aber auf dem Friedhof mit dabei sein.«
»Das gibt’s doch nicht«, schnaubte Amaia. »Der Erste, der ihn sieht, möge ihm bitte klarmachen, dass er sich sofort bei Inspector Iriarte melden soll. Und Zablaza, kündigen Sie mich bitte bei Annes Eltern an, für gegen vier, wenn’s geht.«
Eine Stunde vor dem Trauergottesdienst hatte es zu regnen begonnen. In der Kirche vermischte sich der süßliche Duft der Blumen mit dem muffigen Geruch der feuchten Mäntel und machte einem das Atmen schwer. Die Predigt war ähnlich wie die bei Ainhoa und interessierte Amaia nicht. Diesmal waren noch mehr Leute da, auch Journalisten, die der Pfarrer unter der Bedingung zugelassen hatte, dass im Gotteshaus keine Aufnahmen gemacht wurden. Wie beim letzten Mal gab es Szenen der Trauer und Tränen. Aber da war noch etwas anderes: Entsetzen lag auf den Gesichtern der Anwesenden wie ein feiner, allgegenwärtiger Schleier. In den ersten Reihen saßen außer den Familienangehörigen Jugendliche, wahrscheinlich Mitschüler. Einige Mädchen lagen sich in den Armen und weinten still; die Kraftlosigkeit, die Amaia schon bei Ainhoas Freundinnen gesehen hatte, spiegelte sich auch in diesen Gesichtern. Es war ihnen der natürliche Glanz abhandengekommen, der junge Menschen normalerweise auszeichnet, dieser spöttische Hochmut derer, die sich für unsterblich halten, denen das Alter noch Lichtjahre entfernt scheint. In diesem Augenblick aber war der Tod ganz nah. Die Jugendlichen empfanden Angst, eine Angst, die den Wunsch weckte, unsichtbar zu sein, damit der Tod einen nicht fand. Doch der Tod war spürbar, lag wie eine feine Schicht Asche auf ihren müden Gesichtern. Alle Anwesenden starrten zum Sarg vor dem Altar. Das Licht der Kerzen, die links und rechts davon aufgestellt waren, und die jungfräulich weißen Blumen ließen ihn in hypnotischem Glanz erstrahlen.
»Gehen wir«, flüsterte Amaia Jonan zu. »Ich will vor den Leuten auf dem Friedhof sein.«
Der Friedhof von Elizondo lag an einem Hang in Anzanborda, einem Stadtteil, der allerdings nur aus drei Häusern bestand, die man vom Eingang aus sah. Je weiter man in den Friedhof hineinging, desto steiler wurden die Wege. Vermutlich war er absichtlich so angelegt worden, damit sich bei dem regenreichen Klima nicht das Wasser in den Gräbern staute. Viele Mausoleen waren erhöht und hatten massive Türen. Nur im unteren Bereich gab es traditionellere Gräber, mit scheibenförmigen, fest in die Erde eingelassenen Grabplatten. Die Mausoleen erinnerten sie an die Gräber in New Orleans. Vor
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