Das Echo dunkler Tage
euch, an welchem Tag ihr sie gefunden habt?«
»Am Donnerstag«, erwiderte Mikel. »Da hatte nämlich meine Oma Geburtstag.«
»Ihr beiden habt also das Mädchen gefunden, den anderen Bescheid gesagt, und dann seid ihr alle jeden Tag zu ihr gegangen.«
»Um auf sie aufzupassen«, erklärte Mikel. Entsetzt legte seine Mutter sich die Hand auf den Mund.
»Aber sie war doch tot!«, rief sein Vater.
Fassungslos murmelten die Erwachsenen alle durcheinander. Iriarte versuchte, sie zu beruhigen.
»Kinder haben eine ganz andere Sicht auf die Dinge. Der Tod macht sie einfach neugierig. Ihr seid also immer wieder hin, um auf sie aufzupassen. Das habt ihr gut gemacht, denn das mit den Blumen, das wart ihr, oder?«
Schweigen.
»Wo hattet ihr die vielen Blumen her? Draußen wächst doch noch gar nicht so viel.«
»Aus dem Garten von Oma«, gestand Pablo.
»Ach, deshalb«, schaltete sich die Mutter ein. »Meine Mutter hat mich angerufen und mir erzählt, dass Pablo jeden Tag bei ihr vorbeikam, um Blumen zu pflücken. Ob die für mich wären, hat sie gefragt. Ich wiederum dachte, sie wären für ein Mädchen.«
»So war es ja auch«, wandte Iriarte ein.
Die Mutter schauderte bei dem Gedanken.
»Habt ihr das Mädchen auch mit Parfüm besprüht?«
»Das war von meiner Mutter«, wisperte Jon.
»Jon!«, rief seine Mutter. »Wie …?«
»Das war eins, das du nie benutzt hast, stand noch ganz voll im Badezimmerschrank.«
»Du hast tatsächlich das Boucheron stibitzt?«
Plötzlich schien sie sich mehr darüber aufzuregen, dass er das fünfhundert Euro teure Parfüm genommen hatte, als darüber, dass er damit eine Leiche besprenkelt hatte.
»Wozu das Parfüm?«, wollte Iriarte wissen.
»Wegen des Gestanks. Der wurde immer schlimmer.«
»Deshalb auch die Geruchskiller?«
Alle vier nickten.
»Wir haben unser ganzes Taschengeld dafür ausgegeben«, sagte Markel.
»Habt ihr die Leiche angefasst?«
Iriarte bemerkte, dass die Frage die Eltern nervös machte. Sie rutschten unruhig auf ihren Stühlen hin und her, atmeten tief ein und aus, sahen ihn vorwurfsvoll an.
»Sie lag ja nur so da«, rechtfertigte sich einer der Jungs.
»Sie war nackt«, wurde Mikel deutlicher. Die Kinder begannen zu kichern, verstummten aber sofort wieder, als sie die entsetzten Gesichter ihrer Eltern sahen.
»Ihr habt sie also zugedeckt?«
»Ja, mit ihren Kleidern. Aber die waren kaputt«, sagte Jon.
»Und mit der Matratze«, ergänzte Pablo.
»Hat bei dem Mädchen was gefehlt? Ist euch was aufgefallen? Denkt gut nach!«
Wieder sahen sie sich gegenseitig an und nickten. Mikel ergriff das Wort.
»Als wir ihr den Blumenstrauß geben wollten, haben wir gesehen, dass sie keine Hand mehr hatte, also haben wir lieber alles so gelassen, die Wunde hat uns nämlich Angst gemacht.«
Amaia wunderte sich darüber, wie Kinder dachten. Vor einer Wunde hatten sie Angst, aber einen Körper, dem man Gewalt angetan hatte, empfanden sie nicht als Bedrohung. Sie hatten in der vergangenen Woche jede freie Minute bei einer verwesenden Leiche verbracht, ohne sich zu fürchten. Vielleicht hatte aber auch nur die Neugier über die Angst gesiegt, oder dieser Übereifer, zu dem Kinder in diesem Alter neigten.
Amaia übernahm die Befragung.
»Die Hütte war ganz sauber. Habt ihr sie geputzt?«
»Ja.«
»Ihr habt gefegt, die Duftsäckchen aufgehängt, den Müll verbrannt oder zumindest versucht, ihn zu verbrennen.«
»Ja, aber es hat so geraucht, dass wir Angst gekriegt haben, jemand könnte uns sehen und herkommen.«
»War da Blut? Oder so was wie trockene Schokolade?«
»Nein.«
»Lag sonst irgendwas neben der Leiche?«
Sie schüttelten den Kopf.
»Meint ihr, dass außer euch noch jemand anders dort war?«
Mikel zuckte mit den Schultern.
»Danke, dass Sie der Befragung zugestimmt haben«, wandte sich Amaia an die Eltern. »Und ihr schreibt euch hinter die Ohren, dass ihr beim nächsten Mal sofort die Polizei anruft, ja? Dieses Mädchen hat Eltern und Geschwister, die sie vermisst haben. Außerdem ist sie nicht auf natürliche Weise gestorben. Wenn man so lange wartet wie ihr, bevor man was erzählt, kann das bedeuten, dass der Täter ungestraft davonkommt. Versteht ihr das?«
Sie nickten.
»Was passiert jetzt mit dem Mädchen?«, fragte Mikel.
Iriarte dachte an seine eigenen Kinder und musste lächeln. Da waren sie auf einem Kommissariat, waren gerade befragt worden, ihre Eltern schwankten zwischen Scham, Entsetzen und Ungläubigkeit, und diese Jungs
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