Das Echo Labyrinth 01 - Der Fremdling
fragend an.
»Ich denke, die Frauen tauchen gleich auf«, sagte der Haushofmeister. »Und zwar vollzählig, wie ich hoffe ... Manche von ihnen haben allerdings einen genauso unruhigen Beruf wie wir. Vielleicht möchten Sie bis dahin mit mir vorliebnehmen, da der arme Nattis vor meinen Augen gestorben ist.«
»Das ist ja eine Neuigkeit! Wie ist das passiert?«
»Ich erzähle Ihnen alles der Reihe nach. Der Junge ist mein Schützling gewesen. Wissen Sie, Nattis hat hier nicht als Hausdiener gearbeitet. Ich meine - nicht als üblicher Diener. Vor zwei Jahren hat er seine Heimatstadt Gazin verlassen und ist mit einem Brief seines Großvaters, eines alten Freundes von mir, hierhergekommen. Der Alte hat mir geschrieben, sein Enkel habe keine Eltern mehr und nichts Besonderes gelernt, sondern könne nur, was man in Gazin so könne. Aber er war gescheit - dessen habe ich mich vergewissert. Mein Freund hat mich gebeten, seinen Enkel irgendwo unterzubringen. Sir Makluk hat ihm versprochen, ihm die besten Referenzen zu geben, und versucht, ihm eine gute Stelle bei jemandem zu vermitteln, der am Königshof tätig ist. Das nämlich hätte seine Chancen verbessert, selbst irgendwann an den Hof zu gehen ... Bis dahin habe ich ihm alles Mögliche beigebracht und ihn mehrmals gelobt - glauben Sie mir. Irgendwann haben wir ihm einen Sorgenfreien Tag gegeben. An diesem Tag ist er nicht - wie an seinen übrigen freien Tagen - spazieren gegangen, sondern zu Hause geblieben und hat gar nichts getan, den Tag also wie ein echter Gentleman verbracht.«
Hier konnte ich ein neidisches Seufzen nicht unterdrücken. Gowins deutete es auf seine Art, nickte traurig und fuhr fort: »Wenn jemand es wirklich nach oben schaffen will, muss er nicht nur arbeiten, sondern auch befehlen können. An solchen Tagen ist Nattis aufgestanden, hat nach einem Diener gerufen und sich gewaschen und hergerichtet. Dann hat er sich wie ein Gentleman angezogen, wie ein Gentleman gespeist und Zeitung gelesen. Danach ist er am Rechten Flussufer spazieren gefahren und hat sich auch dort bemüht, wie ein junger Gentleman aus der Hauptstadt zu wirken, nicht wie ein Provinzler aus Gazin. An solchen Tagen durfte er das leere Schlafzimmer von Sir Olli benutzen (der Arme war gerade gestorben, als Nattis seine Lehre bei uns begann). Abends schlief der Junge dann im Sterbezimmer von Sir Olli ein, und wenn er morgens erwachte, rief er nach einem Diener - also nach mir! Dieses ganze Theater war nötig, um mögliche Verstöße gegen seine Gentleman-Rolle zu erkennen und zu vermeiden. An solchen Tagen waren wir unzertrennlich, und das war so notwendig wie angenehm. An seinem Todestag bin ich - wie üblich - gekommen, kaum dass er mich gerufen hat, und habe ihm Wasser zum Waschen gebracht, natürlich nur pro forma, denn das Bad befindet sich neben dem Schlafzimmer. Aber ein zukünftiger Gentleman beginnt seinen Tag stets, indem er sich Gesicht und Hände in einer Schüssel mit warmem Wasser wäscht.«
An dieser Stelle der Erzählung wurde ich traurig. Ein Gentleman würde ich, wie zu vermuten stand, nie werden. Und auch Sir Juffin würde das wohl nicht schaffen. Unterdessen setzte der penible Herr Gowins seine Geschichte fort.
»Nattis hat sich gewaschen und ist dann ins Bad gegangen, um sich zu rasieren. Aber sofort ist dem Armen klar geworden, dass er mal wieder einen Fauxpas begangen hatte. Ich habe ihn wegen dieser Gewohnheit immer heruntergeputzt und gesagt: «Wenn du niemand bist, rasier dich, wo du willst. Wenn du aber ein Gentleman bist, tu es gefälligst vor dem schönsten Spiegel.« Meine Bemerkung ist nicht umsonst gewesen: Der Bursche ist wieder ins Schlafzimmer gekommen und hat nach dem Rasierzeug gefragt. Sehr, sehr leise. So leise, dass ich getan habe, als hätte ich es nicht gehört. Dann hat er die richtige Körperhaltung angenommen und mit den Augen geblitzt, und ich bin schnell mit Rasierzeug und Handtuch zu ihm gekommen. Und dann ... Wie es hat passieren können, weiß ich nicht. Dass ein junger, gesunder Mann sich die Kehle einfach mit dem Rasiermesser durchtrennt! Ich war ein paar Schritte entfernt stehen geblieben, wie es sich gehört, und alles ging so schnell, dass ich nichts unternehmen konnte. Ich habe wohl nicht gleich begriffen, was da geschah ... Was dann passiert ist, wissen Sie so gut wie ich, wenn Sie sich schon mit diesem Fall beschäftigt haben.«
»Du bist ein hervorragender Erzähler, Gowins«, nickte Juffin zustimmend. »Ich habe deine
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