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Das Echo

Titel: Das Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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freundlich. »Dann kannst du ihr wenigstens ins Gesicht sehen, wenn du sie das nächstemal Miststück nennst.«

12
    Deacon nahm einen tiefgefrorenen Truthahn und warf ihn in den Einkaufswagen. Seit sie das Pub verlassen hatten, benahm er sich wie ein gereizter alter Bär, und Terry gab sich größte Mühe, ihn nicht noch mehr zu reizen, nachdem er im Auto die Bemerkung gewagt hatte, es sei kein Wunder, daß Deacons Vater sich erschossen habe, wenn alle Frauen in der Familie solche Zicken wären.
    »Was weißt du schon davon?« hatte Deacon in eisigem Ton gefragt. »Hat Billy dir dein Leben so verpfuscht, daß kein Mensch was mit dir zu tun haben wollte? Hätte es überhaupt eine Rolle gespielt? Viel tiefer als in die Gosse kann man ja wohl kaum sinken?«
    Eine halbe Stunde lang hatten sie kein Wort miteinander gesprochen, aber jetzt lehnte Deacon sich an den Einkaufswagen und wandte sich dem Jungen zu. »Es tut mir leid, Terry. Das war nicht in Ordnung von mir. Ganz gleich, wie wütend ich war, es war kein Grund, gemein zu werden.«
    »Aber es ist ja wahr. Tiefer als bis in die Gosse kann man nicht sinken, und es ist nicht gemein, die Wahrheit zu sagen.«
    Deacon lächelte. »O doch, man kann noch viel tiefer sinken. Es gibt noch die Kloake und die Hölle, und von beidem bist du weit entfernt.« Er richtete sich auf. »Und du bist auch nicht in der Gosse, jedenfalls nicht, solange du unter meinem Dach lebst. Also such dir deine Lieblingsfressalien aus, und dann tafeln wir wie die Fürsten.«
    Nach fünf Minuten kam er auf etwas zurück, das ihn schon eine ganze Weile beschäftigte. »Hat Billy dir eigentlich mal gesagt, wie alt er war?«
    »Nein. Ich weiß nur, daß er leicht mein Großvater hätte sein können.«
    Deacon schüttelte den Kopf. »Wenn der Pathologe recht hat, war er so etwa Mitte Vierzig. Nicht viel älter als ich also.«
    Terry war entgeistert. Mit offenem Mund blieb er stehen, ein Paket Corn-flakes in der Hand. »Nie im Leben! Mann! Er hat echt uralt ausgeschaut. Ich hab’ gedacht, er wär’ ungefähr so alt wie Tom, und Tom ist achtundsechzig.«
    »Aber er hat doch zu dir gesagt, es wäre schön gewesen, in den Siebzigern jung zu sein.« Er nahm dem Jungen die Corn-flakes aus der Hand und warf sie in den Wagen. »Und das ist erst zwanzig Jahre her.«
    »Ja, aber da war ich ja noch gar nicht auf der Welt.«
    »Was hat das denn damit zu tun?«
    »Na, das war doch vor’ner Ewigkeit.«
     
    »Warum hat Billy gesagt, die Wahrheit sei tot?« fragte Deacon, als sie mit vollgepacktem Kofferraum heimwärts fuhren. »Was hat das mit einer Postkarte zu tun?« Er erinnerte sich an eine Zeile aus Billys Gespräch mit Dr. Irvine: Ich suche noch nach der Wahrheit.
    »Woher, zum Teufel, soll ich das wissen?«
    Deacon bewahrte mit Mühe die Geduld. »Du hast zwei Jahre lang mit Unterbrechungen mit dem Mann zusammengelebt, aber soweit ich sehen kann, hast du nie auch nur einen einzigen Satz, den er gesagt hat, in Frage gestellt. Wo war eigentlich deine Neugier? Mich löcherst du doch auch dauernd mit deinen Fragen.«
    »Ja, aber Sie antworten ja auch«, erwiderte Terry und strich sich dabei voller Genugtuung über seine neue karierte Jacke. »Billy ist immer wütend geworden, wenn ich zu oft ›warum‹ gesagt hab’, und da hab’ ich eben nicht mehr gefragt. War den Ärger nicht wert.«
    »Ich nehme an, er hat es im Präsens gesagt.«
    »Im was?«
    »Ich nehme an, er hat gesagt: ›Die Wahrheit ist tot, darum spielt sowieso nichts mehr eine Rolle.‹«
    »Ja klar, das hab’ ich Ihnen doch schon erzählt.«
    »Das lateinische Wort für Wahrheit ist veritas «, überlegte Deacon laut, »und daher kommt der Frauenname Verity.« Er warf Terry einen kurzen Blick zu. »Meinst du, das V stand für Verity? Hat er, als er ›Die Wahrheit ist tot‹ sagte, vielleicht gemeint, Verity ist tot?«
    Ich suche noch nach Verity?
    »Und sag jetzt ja nicht, woher, zum Teufel, soll ich das wissen, weil ich sonst nämlich anhalte und dir den Truthahn in den Hals ramme.«
    »Ich bin doch kein gottverdammter Hellseher«, beschwerte sich Terry. »Wenn Billy gesagt hat ›Die Wahrheit ist tot‹, dann hat er wahrscheinlich gemeint ›Die Wahrheit ist tot‹.«
    »Ja, aber warum ?« knirschte Deacon. »Von welcher Wahrheit hat er gesprochen? Von der absoluten Wahrheit, von der relativen Wahrheit, der schlichten Wahrheit, der reinen Wahrheit? Oder hat er von einer bestimmten Wahrheit gesprochen - sagen wir dem Mord -, der nie

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