Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
Kinder ein und desselben Gottes in überzeugender Weise zum Ausdruck, und mit ihr kam der Friede. Eine bedeutungsschwere und tiefverpflichtende Stunde, als Kinder aller Nationen an der Schwelle der Freiheit aus der Hand der Kirche den Segen und den Frieden zu empfangen! Das Übermaß von Gnade aus dieser ersten Stunde ließ noch lange in vielen Herzen den Schimmer der Andacht zurück, bis auch diese Verhaltenheit sich in reine, gütige Freude löste – «Heinrich, der Wagen bricht» – «Nein, Herr ...» Nun löste sich auch der letzte eiserne Reifen, und in nie gefühlter Freiheit atmeten die Herzen auf.
Victor Klemperer 1881–1960
Unterbernbach/Bayern
In uns ist immer wieder ein großes Erleichterungs- und Dankgefühl (Dank gegen wen?), dies Ungeheure, all diese mehr als romantische Gefahr nun wirklich überlebt zu haben. Das wallt immer wieder in uns auf, aber darüber legt sich natürlich von Stunde zu Stunde mehr all das guaio – für minder hart Getroffene wäre es schon ein richtiges Unglück, und auch wir Hartgesottenen sind schließlich nicht nur hartgesotten, sondern auch abgekämpft und, buchstäblich abgerissen – all das Elend unserer Situation: die Enge, die Primitivität, der Schmutz, die Zerfetztheit der Kleidung, des Schuhwerks, der Mangel an allem und jedem (wie Schnürsenkel, Messer, Verbandstoff, Desinfektionsmittel, Getränk ...).
Adolf Hitler 1889–1945
Berlin/Führerbunker
Politisches Testament
Aus dem Opfer unserer Soldaten und aus meiner eigenen Verbundenheit mit ihnen bis in den Tod, wird in der deutschen Geschichte so oder so einmal wieder der Samen aufgehen zur strahlenden Wiedergeburt der nationalsozialistischen Bewegung und damit zur Verwirklichung einer wahren Volksgemeinschaft.
*
Die Lehrerin
Anni Antonie Schmöger 1889 –1994
München
Sonntag gingen wir schon um 7 Uhr in die hl. Messe, damit, wenn Feindalarm käme, wir doch noch den Heiland empfangen hätten. Kurz nach der heiligen Wandlung fielen plötzlich Bomben, gleich darauf ertönte die Sirene. Ich eilte mit einigen zur Tür, kehrte aber dann wieder um, da ich ja noch nicht kommuniziert hatte. Nach dem Segen verließen meine Schwester und ich gleich die Kirche und eilten heim. [...]
Ein paar weiße Fahnen wurden in unserer Straße schon ausgehängt – mir blutete mein Herz, denn welcher einigermaßen charaktervolle Mensch liebt nicht sein Vaterland und empfindet Weh, wenn durch das Siegestor seiner Stadt der Amerikaner bald singend marschiert?
Hella Reidt 1901 –1978
Halle
Heute wurden wir durch ein blutiges Ereignis erschüttert. Hartmut Blume, 15 Jahre alt, fand beim Holzsuchen hinter unserem Garten eine Panzerfaust. Er hantierte damit und die Treibladung zerschmetterte ihm den Oberschenkel in furchtbarer Weise.
Frau Schneider fand ihn hilflos und allein liegen, kam schnell zu mir, und ich ging mit Frau Maschmann, die eben bei mir war, zur Unglücksstelle. Der Anblick des armen Kerlchens, das bei vollem Bewußtsein war, verursachte mir Übelkeit, so zerfetzt sah das Bein aus. Es war bis auf den Knochen durchgebrannt. Rüdiger und der junge Schneider sausten auf ihren Räder zum Arzt, aber Garber kam nicht. Da schickte ich zu Poschmann. Der kam pomadig nach einer halben Stunde und sagte, da könne er nichts machen, der Junge gehöre sofort in klinische Behandlung. Nun rasten die Jungen zur Bürgermeisterei und zur Rotkreuz-Schwester. Die Gemeinde hatte kein Gefährt zur Verfügung, und so blieb Rüdiger und Frau Schulz nichts weiter übrig, als ein amerikanisches Sanitätsauto anzurufen. Es hielt sofort und erklärte sich auch sofort bereit, den Jungenzu transportieren. In kurzer Zeit waren sie da und verbanden den armen Jungen, der totenbleich und ohne einen Laut von sich zu geben die ganze Zeit auf der Erde gelegen hatte. Das Bein wurde sachgemäß geschient, und Frau Blume konnte sogar mit nach Halle fahren.
Dr. Walther Kaldewey 1896–1954
Bremen-Osterholz
Der heutige Tag ist totenstill [...] Je mehr man herumhört, umso deutlicher zeigt sich, daß die Engländer übel gehaust haben, von Ausnahmen abgesehen. Mir haben sie mein Auto und Reifen entwendet, sämtliche Instrumente aus dem Zirkelkasten, sie haben in der Anstalt medizinische Apparate zerstört, Taschentücher fehlen massenhaft. In den Wohnungen der Bevölkerung hat es nach dem Abzug der Einquartierung zum großen Teil verheerend ausgesehen, alles durcheinandergeworfen, Möbel als Brennholz verwendet, obgleich Holz an anderen Stellen
Weitere Kostenlose Bücher