Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
zeigen, die Deutschen haben keine Fahne. Da auch das nach der vorausgegangenen Aussprache wahrscheinlich nicht angenommen werden wird, schlage ich als
3. Lösung vor, eine einfache rote Fahne zu zeigen, und erst, wenn das auch abgelehnt wird, kann ich nichts dagegen tun, wenn die kommunistische Mehrheit im deutschen Komitee beschließt,
4. die Rote Fahne mit dem fünfzackigen Stern am nationalen Fahnenmast der Deutschen aufzuziehen.
K. A. Gross
KZ Dachau
Ich habe mir nachträglich die Herrnhuter Losung angesehen und eilte, sie samt dem sogenannten Lehrtext und dem Wochenspruch abzuschreiben, so, wie die wundersamen Worte von Pfarrer Rackwitz gestern morgen, als wir noch keine Ahnung von der Wucht der sich überstürzenden Ereignisse und der Bedeutung dieses Sonntags Cantate hatten, zu Beginn des Gottesdienstes vorgelesen wurden. «Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder!» Das war ja auch das Wort, das der Knabe Hiob in der letzten Woche immer wieder anführte, als seine Sache so schlecht stand, daß keine Hilfe mehr möglich war. Zweimal war er für den Transport ausgesucht worden; selbst der Arzt hatte seinerWegschickung zugestimmt, nichts schien ihn mehr retten zu können als ein Wunder, und das Wunder geschah. Er ist noch unter uns und kann das Fest der Befreiung mitfeiern. Eine unvergeßliche Erfahrung der Treue dessen, der auch dem Ungetreuen die Treue hält.
Ach, so gerne möchte er sich von Herzen freuen, aber Trauer überwältigt ihn, wenn er an sein Vaterland denkt, das zur gleichen Stunde am Boden liegt. Doch wie? Darf nicht auch Deutschland dieses Sieges Früchte mitgenießen? Ganz gewiß, man muß den Dingen nur auf den Grund sehen. Hätten die gesiegt, die jetzt vollends zerschmettert werden, wäre das nicht das größte Unglück, ja eine furchtbare Niederlage für Deutschland gewesen? Denn der Abfall hätte sich im Siege vollendet. Unser Übermut hätte unsern endgültigen Fall besiegelt. Indem uns Gott aber im Zorn entgegentrat, bewies ER seine Güte an uns, die uns noch einmal Raum zur Buße schenken wollte. ER gab uns teil am Sieg derer, die uns besiegten. Konnte sich das Feldherrntum Christi überlegener vor aller Welt erweisen? Darum Kopf hoch, mein Bruder, du darfst weinen mit den Weinenden, aber zugleich lachen mit den Siegern als Mitsieger – übe dich darinnen, Knabe Hiob, das ist der Künste köstlichste!
*
Der Matrosen-Hauptgefreite
Klaus Lohmann 1910–2002
(Travemünde)
Noch einmal durfte ich hier in Travemünde predigen. Die Kirche war recht gut besucht, viele meiner Kameraden vom Lesekreis und Bibelkreis waren da. Ich predigte mit Freudigkeit über Joh. 6,67- 69. (1. Eine entscheidende Frage, 2. eine herzliche Antwort, 3. ein weltansch. Bekenntnis)
Nachmittag gehe ich noch einmal mit meinen Freunden spazieren. Nachher zusammen in der Kirche, wo eine musikalische Vesper stattfindet. Sehr schöne Orgelmusik, Solo- und Chorgesänge. Musik aus der Bachzeit und auch einiges Moderne. Dazwischen Schriftlesung und Gebet. Wie gut tut diese besinnliche Stunde!
Abends zum letzten Mal im Pastorat, wo ich in den verflossenen fünf Wochen so oft sein durfte. Ich spüre, wie schwer mir das Abschiednehmen fällt! Gott beschütze diese lieben Menschen und ihr Haus!
Der Domkaplan Fritz Bauer *1913
Würzburg
Prälat Werthmann als Pfarrer und Dr. Winkler als der Hausgeistliche zelebrieren heute am Hauptaltar, ich gehe an den Nebenaltar im Elisabethenheim.Dann holt mich der Dieter von Stift Haug und bittet mich, ich möge mit ihm in den Keller seines Hauses kriechen. Wir finden nur noch Asche. – Eine schöne Hausmadonna liegt am Eingang von der Semmelstraße zur Handgasse im Steingeröll, sie ist ohne Kopf. Ich habe Glück und finde den Kopf und lege ihn neben die Statue.
Isa Vermehren *1918
(Niederndorf/Österreich)
Der strahlende Frühlingsmorgen des nächsten Tages vereinte uns alle um neun Uhr zur Bischofsmesse in der Dorfkirche. Zu den tiefsten Eindrücken dieser ganzen Reise gehört diese Stunde vollkommener Erlösung. Nicht nur hatte jeder von uns mit dem Gang zur Kirche einem persönlichen Wunsch wieder in freier Weise entsprechen können, das war die private Freude jedes einzelnen. Ergreifender war das Offenbar- werden der gleichen inneren Haltung bei allen, wie sie das Schicksal der vergangenen Monate und Jahre in uns herausgebildet hatte: die Haltung des Opfernden und Dankenden, die Haltung der Ehrfurcht und der Anbetung; hier kam die Gleichheit der Menschen als
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