Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
Hafen Warnemünde verlassen hatten. Als wir hier mit etwa 1200 Soldaten an dem Übergang bei Warnemünde warteten, kam ein eigenartiger Zug auf uns zu von etwa 400 bis 500 Menschen in auffallender Kleidung! In gestreifter Sträflingskleidung! Wir erkannten bald, daß es sich um ein Konzentrationslager handelte.
Walter Wendel 1928–1998
RAD-Lager /Lübeck-Schlutup
Die Engländer waren in der Nähe, zu denen wollten wir hin. Die Straßen waren voll Soldaten, alle zu Fuß. Alle wollten wir zum Engländer, zum Russen wollte keiner! Unser RAD-Verein löste sich auch so nach und nach auf, die RAD-Führer konnten nichts mehr machen. So marschierten wir mit den anderen Soldaten Richtung Westen. Bevor wir in die Dörfer hereinkamen, standen dort jeweils Zivilpolen, sie nahmen uns alles ab. Ich hatte eine Armbanduhr von meinem Bruder Ewald,vorsorglich hatte ich sie bereits vom Arm genommen und in die Tasche gesteckt. Die Zivilpolen faßten aber einfach in die Taschen und holten alles heraus. Als wir eine große Wiese erreichten, sahen wir, daß die Engländer hier ein Gefangenenlager gebildet hatten. Und da sah ich, daß die Engländer den kleinen, zum Teil noch schmächtigeren Jungen wie ich, die Hosenbeine über den Knien abgeschnitten hatten. «Was wollen denn die Kinder bei den Soldaten?» fragten die Engländer immer wieder. Wir wurden nun auch zu Gefangenen auf dieser großen Wiese. Geschlafen wurde in Zelten. [...]
Am Tag bekamen wir ein paar Kekse und eine Wassersuppe, die Engländer hatten ja selbst nichts zu beißen! Wir waren aber auch zu viele, Tausende von Soldaten. Daß wir das so ausgehalten haben, 16 Jahre alt und so wenig zu essen.
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Ernst Thape 1892–1985
KZBuchenwald
Im Lager wird der 1. Mai vorbereitet. Dabei ist folgendes interessant. Alle Nationen marschieren auf unter ihren nationalen Fahnen. Im deutschen Komitee beschäftigt man sich mit der Frage, wie soll die deutsche Fahne sein? Ich beantrage im Namen der Sozialdemokraten die Farben schwarzrotgold und gebe zu bedenken, daß man es vielleicht ebenso machen könne wie die Jugoslawen, die in das Mittelfeld ihrer Fahne einen fünfzackigen Stern getan haben. Der Vorschlag kam so überraschend, daß man dagegen keine Einwendungen machte, sondern nun die Entscheidung verschob. Heute hat man die Sprache wiedergefunden und mitgeteilt, daß die Mehrzahl der Lagerinsassen, die ja doch fast alle irgendwie Kommunisten seien, gegen die Weimarer Republik so viel einzuwenden hätte, daß man sich die Farben schwarzrotgold nicht gefallen lassen werde. Man sollte doch eine rote Fahne mit einem fünfzackigen Stern, dem Symbol des Kampfes gegen den Faschismus, verwenden.
Ich stellte fest und werde das in der heutigen Sitzung am Abend, in der aber nichts mehr geändert werden kann, nochmals tun: Alle anderen Sozialisten und Antifaschisten zeigen ihre nationalen Symbole und kümmern sich dabei gar nicht um den innerpolitischen Streit, der oft unter diesen Symbolen ausgetragen wurde. Die Franzosen gehen unter der Trikolore ohne jede Zutat genau so selbstverständlich wie die anderen Franzosen, die gegen sie kämpften. Die Belgier, die Holländer, die Italiener, alle tun dasselbe. Die Österreicher, die im Kampf gegen die Heimwehrenstanden, gegen dieselben Heimwehren, deren Farben rotweißrot waren, und von ihnen ins Konzentrationslager gesteckt wurden, tragen heute noch umgeben vom Stacheldraht des Konzentrationslagers als internationale kommunistische Marxisten die rotweißrote Fahne. Die einzigen im ganzen Buchenwald unter den mehr als einem Dutzend Nationalitäten, die sich im unklaren sind über ihre Landesfarben, sind die Deutschen. In Rußland bildete sich zwar unter der Führung eines deutschen Generals ein «National-Komitee Freies Deutschland», aber die Nationalfarben, die jedes Kind sofort als die deutschen erkennen würde, und die immer im Kampf gegen die Faschisten vorangetragen wurden, dürfen nicht gezeigt werden.
Wir sind in der Minderheit hier und können unseren Willen nicht durchsetzen.
Im Namen meiner Freunde stelle ich folgende Rangfolge fest:
1. Wir beantragen Schwarzrotgold am Fahnenmast der Deutschen. Schwarzrotgold mit dem fünfzackigen Stern, nicht weil wir den wünschen, aber weil wir ihn als Zeichen unserer Zugehörigkeit zur Front der Antifaschisten, um jedes Mißverständnis zu vermeiden, für richtig halten. Wird diese Forderung als untragbar abgelehnt, dann wünsche ich,
2. daß der deutsche Fahnenmast leer bleibt, um offen zu
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