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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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vorhanden war. Photoapparate sind sehr gefragt: vor allem natürlich Kleinbildkameras als deutsche Werkmannsarbeit erster Weltklasse. Die Reichen bereichern sich an einem armen Volke. Viele Fälle rein mutwilliger Zerstörung werden von allen Seiten berichtet. Daß hierbei vorwiegend der kleine Mann betroffen wurde, gibt den meisten jetzt schon zu denken. Es zeigt sich auch jetzt, wie objektiv unser Nachrichtendienst war. Jeder sehnt sich danach, deutsche Nachrichten zu erhalten, weil man überall erkennen muß, wie unzuverlässig, widersprechend, hetzerisch und aufreizend der feindliche Nachrichtendienst ist.
    Langsam beginnen die meisten, den Schock der ersten Tage abzustreifen und wieder wie auch vorher zu glauben an unsre gute Sache, das umso mehr, wenn man von der Richtungslosigkeit der Gegner Kenntnis nimmt.
    Unser Schlafzimmer ist jetzt wieder benutzbar. Wir schlafen alle darin. Die übrigen Räume der Wohnung sind noch nicht benutzbar.
    Der Schweizer Generalkonsul
    Franz-Rudolph von Weiss 1885–1960
Köln
    Am Nachmittag erhielt ich den lieben Besuch meines alten Freundes Baron Waldemar von Oppenheim, der seine erste Fahrt in die weitere Umgebung von Köln dazu benutzte, um uns mit seiner Frau zusammen einen Besuch abzustatten. Es war wirklich erschütternd zu hören, was diese Familie während den 6 Monaten, wo sie sich in Köln versteckt hielt, hat durchmachen müssen, oft dem Hunger nahe, ohne bei den vielen schweren Luftangriffen auf Köln einen Luftschutzkeller aufsuchen zu können, immer in der Angst, lebend entdeckt zu werden, was ihren Todbedeutet hätte. Es ist für einen Fernstehenden unmöglich, sich von den Leiden dieser angesehenen Familie ein Bild zu machen. Vor dem Einzug der Amerikaner wurde die Mutter von Frau Oppenheim trotz ihrer amerikanischen Staatsangehörigkeit von der Gestapo verhaftet und ins Zuchthaus Brauweiler gebracht. Von dort sollte sie trotz ihrer 75 Jahre den 100 km weiten Weg zum Zuchthaus nach Siegburg antreten, mußte jedoch nachher aus Zeitmangel zurückgelassen werden. Wie ich bereits erwähnt habe, wurde das Oppenheimsche Schloß Schlenderhan von den amerikanischen Truppen derartig verwüstet, daß eine Beschreibung dieses Zustandes einfach unmöglich ist.
    Robert Bauer
Heilbronn
    Gang durch das Industriegebiet. Schwere Kampfspuren überall. Alle Großbetriebe total vernichtet.
    Ecke Wilhelm- und Cäcilienstraße spielen ein schwarzer und ein weißer Soldat mit zwei deutschen Jungen Handball. Auch an anderen Stellen kann die Teilnahme von Kindern an den Spielen der Soldaten beobachtet werden.
    Dagegen hört man immer zunehmende Klagen über Bedrohungen, Plünderungen, Raub, tätliche Angriffe und Belästigungen durch die russischen und polnischen Arbeiter und Frauenzimmer. Sie ziehen in Trupps von Haus zu Haus, besonders bei außen gelegenen Einzelanwesen und Weinberghäuschen, und nehmen rücksichtslos und gegen jeden Einspruch alles mit, was nicht niet- und nagelfest ist. Das ist eine wahre Landplage. Die Polizei hat leider keine Macht gegen sie und muß stillschweigend zusehen.
    Das Bismarckdenkmal steht unbeschädigt. Unbewegt schaut der «Alte vom Sachsenwald» über die zerstörte Stadt und die gesprengte Brücke. Man möchte meinen, noch härter und finsterer ist sein Blick ob der furchtbaren Auswirkungen einer Politik, die von dem von ihm gezeigten Weg abwich: den Frieden mit Rußland zu halten und zu sichern.
    Grete Dölker-Rehder 1892–1946
Neumühle
    «Ein’ feste Burg ist unser Gott, ein’ gute Wehr und Waffen. Er hilft uns frei aus aller Not, die jetzt uns hat betroffen.» Der Feind beträgt sich bis jetzt durchaus korrekt. [...] Trotz Ausgehverbots war eine große Wallfahrt nach Ratzenried. Die Panzer waren wieder fortgefahren, der Ort wurde nur von bisherigen französischen Gefangenen, die man bewaffnet hatte, bewacht, die sich ruhig und freundlich verhielten. Sie hatten ein riesiges Lebensmittellager im dortigen Braukeller geöffnet unddie Bestände an die Bevölkerung verteilt. Es sah ja nicht schön aus, wie sie die kostbaren Dinge unter die Menge warfen und wie gierig die Menschen danach griffen. Sie sich gegenseitig aus den Händen rissen und sie in den Dreck traten. Wir fanden es unwürdig. Ich schämte mich, als ich schließlich doch auch eine Kiste mit Nestles Kindermehl forttrug, die mir einer ohne mein Bemühen hinhielt. Aber so charakterlos haben uns 51/2 Kriegsjahre gemacht. Da meint man immer, wir würden diese gigantische Tragik nur

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