Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
vergessen zu sagen: Wir bekommen jetzt dicke Suppen, – die Brot-Ration ist erhöht. – Es gibt Fleischkonserven, eine halbe Büchse je Mann zum Abendbrot. – Es ist noch Lagerkost,Lagerbestände, – das Büchsenfleisch ist aus der Konservenfabrik Wülfert in Dachau oder aus sonstigen SS-Beständen. – Für uns ist das schon Feiertagskost – Alle lächeln selig, wenn das Essen kommt. Wie mag es der Bevölkerung in Dachau gehen? – Sie war stets so gut zu uns, hat uns zugesteckt, was sie hatte, und uns geholfen, wo es ging, – nur die SS konnten sie nicht leiden. – Hoffentlich haben sie nicht die Taten der SS zu büssen, hoffentlich wird der Name ihres kleinen netten Städtchens ihnen nicht Unglück bringen, weil er dem Lager auch seinen berüchtigten Namen gegeben hat. – Ich sorge mich darum. –
Der Pfarrer Johann Steinbock *1909
KZDachau
Das Wohnungselend wurde nicht sogleich aufgehoben. Es wurde erklärt, daß wir in die Baracken des SS-Lagers kommen würden. Diese mußten aber erst gereinigt und eingerichtet werden. Desgleichen wollten die Amerikaner immer wieder das Lagerelend photographieren und filmen, und immer neue Besuche und Kommissionen kamen, denen der Originalzustand des Lagers gezeigt werden sollte. So heißt es für uns noch eine Zeitlang im halben Zigeunerleben beisammen zu bleiben. Eine sofortige Entlassung aus dem Lager in die Heimat kommt noch nicht in Betracht, erstens weil Flecktyphus seit einigen Monaten im Lager ist und jeden Tag durchschnittlich hundert Todesopfer gefordert hat, es muß zuerst einige Wochen eine Quarantänezeit durchgemacht und Impfung vorgenommen werden, und zweitens, weil es keine Transportmittel gibt, die Bahnen stillstehen und Autos noch nicht zur Verfügung sind. Wir sollen beisammenbleiben, bis die einzelnen Regierungen Transportmittel schicken. Eine Anzahl Ausländer und Krimineller hatte im ersten Wirbel aber doch das Lager verlassen, im SS-Lager und in der Plantage Verwüstungen angerichtet und die Umgebung unsicher gemacht. Daher stellten die Amerikaner um das Lager ebenfalls Wachposten auf. [...]
Jede Baracke und fast jede Stube sah sich um einen Radioapparat und eine Schreibmaschine um. Was die SS zurückgelassen hatte, wurde requiriert. Aus allen Fenstern tönte nun zu allen Stunden bis tief in die Nacht hinein Musik und Stimmengewirr. Fast zeigte sich auch die Gefahr, die darin liegt, daß Unterdrückte plötzlich zu Ehren kommen: wenn vorher mit Recht von SS-Bonzen zu reden gewesen war, so wäre man nun beinahe versucht gewesen, aus Anlaß des Gebarens und der feudalen Einrichtung, die aus den SS-Räumen in manche Komitees geholt wurde, auch dort wieder an «Bonzen» zu denken. Sehr viel Macht und Kraft war den Komitees ja schließlich doch nicht gegeben.
Die Jugoslawen waren von weitem besonders kenntlich durch den Titostern auf allen Mützen. Bei ihrer Feier erfüllte der immer sprechchorartig wiederholte Schrei «Tito, Tito, Tito» die Straße. Das erinnerte allerdings zu sehr an die von früher bekannten italienischen Rufe «Duce, Duce».
Die Deutschen waren die einzigen, die in diesen Tagen keine Fahne hatten. Einzelne unter den Völkern wollten sie zunächst auch nicht im Internationalen Gefangenenkomitee vertreten sehen. Aber die Einsichtigeren wiesen mit Erfolg darauf hin, daß die im Lager anwesenden Deutschen doch auch genau so wie die übrigen Nationen Gegner und Opfer der Gestapo und SS waren, und so wurde auch ein deutsches Komitee gebildet.
Emil Barth 1900–1958
Haan/Rheinland
Besatzungsangehörige verteilen auf der Straße den «Kölnischen Kurier», eine von der amerikanischen Armee herausgegebene Zeitung in deutscher Sprache. Da die Fremden sehr kinderlieb sind, auch selber viel Kindlichkeit haben und ihre Quartiere und Posten daher ständig von Kindern umlagert sind, lassen sie es zu, daß ihnen die Kleinen beim Austeilen helfen, unsre arglosen deutschen Kinder, denen nicht ahnt, welche Mitgift von Unglück und Schande sie ins Leben mitbekommen und was für ein furchtbares Blatt sie da so eifrig den Erwachsenen zutragen. Denn furchtbar ist es, im vollen Sinn dieses Wortes; es hat etwas von der Furchtbarkeit der Stimme, die Kain nach dem Bruder Abel fragt, oder jenes mythischen Schuldblattes, das nach tiefsinnigem Glauben dem sündigen Menschen am Tag des Jüngsten Gerichts vorgewiesen wird. Es enthält Augenzeugenberichte und photographische Aufnahmen aus den Konzentrationslagern [...]
Mit gut zwei Dutzend Menschen mag ich
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