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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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1889–1945
Berlin/Führerbunker
    Politisches Testament
    Möge es dereinst zum Ehrbegriff des deutschen Offiziers gehören – so wie dies in unserer Marine schon der Fall ist – dass die Übergabe einer Landschaft oder einer Stadt unmöglich ist und dass vor allem die Führer hier mit leuchtendem Beispiel voranzugehen haben in treuester Pflichterfüllung bis in den Tod.
    *
    Marianne Goerdeler *1919
Österreich
    Am 30. April 1945 [...] wurden wir aus dem Konzentrationslager Dachau abtransportiert. Unvergeßlich hat sich mir dieser Abend eingeprägt. Heute erscheint er mir stellvertretend für alle Not jener Tage. Diesmal waren die Fenster des Busses nicht verhängt und die Wachmannschaften spürbar nervös. Wir fuhren in den sinkenden Tag. Die schräg einfallende Sonne beleuchtete mit scharfen Strahlen eine gespenstische Szene: Eine Stunde lang, über Kilometer, kamen wir an marschierenden, nein, sich hinschleppenden Häftlingskolonnen vorbei. Zahllos schienen diese abgemagerten Elendsgestalten, zu Nummern entwürdigtmit ihren kahlgeschorenen Köpfen und in der graugestreiften Häftlingskleidung. Bis in den Bus hörten wir den harten Tritt ihrer Holzschuhe, halb schlurfend, halb marschierend.
    Ein grausamer Widersinn lag in dem Bild: Mitten im Chaos des Zusammenbruchs und der Auflösung waren sie noch unter dem Kommando ihrer Bewacher in Reihen und Blocks organisiert und geordnet. Am Straßenrand lagen tote Häftlinge, erschossen oder vor Schwäche umgekommen. – Wohin ging der Weg für die anderen?
    Frau Gretka *1925
Tünzenhausen
    Ich mußte während meines Aufenthaltes auf dem kleinen Bauernhof an einem Nachmittag kurz vor dem Einrücken des Amerikaners mit dem Fahrrad zu einem etwas entfernteren Bauern fahren, um einen sog. Kälberstrick zu holen, weil eine Kuh kalbte.
    Auf dem Wege dorthin geriet ich in eine ziemlich große Kolonne merkwürdig gekleideter Männer: grau-blau oder grau-grün (das weiß ich nicht mehr genau) gestreifte Anstaltskleidung und Kopfbedeckung. Die Gesichter grau, ausgemergelt, wie tot. Eine Bäckersfrau rannte ins Haus und kam mit Broten auf den Armen wieder heraus, die sie in die Menge warf. Ich stand mit meinem Rad eingekeilt dazwischen. Wie hungrige Hunde stürzten sich die Männer auf die Brote. Die begleitenden Wachmannschaften schossen in die Luft, da sie wohl sonst der Lage nicht mehr Herr wurden, und schimpften fürchterlich mit der Bäckersfrau. Die schimpfte in gut bayrischer Manier zurück. Die Männer stanken direkt modrig. Nach den Schüssen ordneten sie sich ängstlich wieder in Reih und Glied. Ich war völlig verwirrt und wußte nicht, was das war. Ich schob mein Rad weiter und sah einen Mann am Straßenrand hocken, die Hose heruntergelassen, der seine Notdurft verrichtete. Ein Wachtposten stand mit dem Gewehr unter dem Arm neben ihm. Der Mann bedeckte aus Scham sein Gesicht mit seinem Arm, als ich vorbeikam. Heute weiß ich, daß das KZ-Häftlinge aus Dachau waren, die man in den letzten Tagen noch irgendwo anders hinbringen wollte, weiß Gott, wohin.
    Der KZ-Häftling Willy Sägebrecht
auf dem Marsch
    Der lange, lange Todesmarsch begann ... Es war in diesen Apriltagen sehr kalt. Regen Tag und Nacht. Wir marschierten in durchnäßter Kleidung; über der langen grauen Marschkolonne Tausender von KZ-Häftlingen hatte sich eine Dunstwolke gebildet. Hunger und Durst quälten uns. Jede Gelegenheit benutzten wir, um den Durst zu löschen. Die SS feuerte aufuns. Viele Tote blieben liegen. Wenn wir an einer Kartoffelmiete vorbeikamen, stürzten wir in großen Scharen darauf los, um uns mit rohen Kartoffeln zu versorgen Auch hierbei metzelte die SS mit ihren Gewehrsalven viele nieder. Verschiedene Häftlinge versuchten, wenn sie seitwärts austreten gingen, sich im Schutz von Sträuchern und Büschen zu entfernen. Aber die Marschkolonne war auch an beiden Seiten durch motorisierte SS mit Hunden gesichert. Bei solchen Fluchtversuchen wurden ebenfalls zahlreiche KZ-Häftlinge getötet. Viele Genossen fanden beim Marsch den Tod. Wir Häftlinge waren so ermattet und entkräftet, daß mancher von uns nicht mehr weiterkonnte. Aber jeder, der in die hintersten Reihen zurückfiel und nicht mitkam, erhielt durch die Nachhut der SS den Genickschuß.
    Solange es ging, stützten wir die entkräfteten Häftlinge.
    Ein unbekannter KZ-Häftling
bei Bad Tölz
    Am nächsten Morgen wurde dann der Marsch in Richtung Bad Tölz fortgesetzt. Die Deutschen bildeten die ersten Marschblöcke von

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