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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Marsch. Ich lag in einem Pferdewagen und hielt mein bleiches Gesicht der warmen Aprilsonne entgegen. Herrlich!
    Da sah ich plötzlich eine deutsche Frau, die übers Feld von ihrem Haus etwa einen halben Kilometer von der Straße entfernt zu uns lief. «Bitte, Halt, Rotkreuz, Rotkreuz, Hilfe ...» – rief sie uns zu.
    Ich ließ «Tprrr!» machen.
    Soweit wir verstanden hatten, ging es um ihren Vater, den ein russischer Soldat durch einen Schuß tödlich verwundet hätte. Unser Regimentskommandeur bekämpfte jeden Versuch zur Vergewaltigungen der deutschen Frauen.
    «Der Krieg wäre schon längst zu Ende, wenn wir uns in Ostpreußen nicht wie wilde Asiaten benommen hätten. Nun verteidigt jeder deutsche Rotzbengel nicht mal den verfluchten Führer oder sein nazistisches Vaterland, sondern seine Mutter und seine Schwestern. Und wird bis zur letzten Patrone kämpfen. Wer sich nicht mehr beherrschen kann,für den gibt es viele Löcher im Zaun nach jedem Kaliber. Und alle sind hundertprozentig tripperfrei.»
    Oberst Pjatow gab mir einen Dolmetscher und wir liefen zum Haus. Der Alte war leider schon tot.
    Es stellte sich heraus, daß ein bewaffneter russischer Soldat ins Haus eingedrungen war und Schnaps verlangte. Man habe ihm den Schnaps gegeben. Dann sah er ein junges Mädchen im Haus und wollte sie vergewaltigen. Der Alte trat vor, um seine Enkeltochter zu schützen, und bekam eine Kugel in den Bauch.
    Den besoffenen Asiaten von der NKWD-Truppe, die gewöhnlich hinter den kämpfenden Einheiten vorrückte, haben wir 3 km vom Haus in einem Wäldchen gefunden. Er schlief den Schlaf eines Gerechten. Unser Oberst gab dem Mörder seine Pistole und eine einzige Patrone im Lauf. «Fünf Minuten gebe ich dir, mein Junge, sei mutig. In fünf Minuten helfe ich dir als einem Feigling nach.» Der Schuß fiel nach wenigen Sekunden. Wir haben ihn als Selbstmord abgeschrieben.
    *
    Der Hafenkommandant
    Hans-Heinrich Beerbohm
Stralsund
    Bei einer Lagebesprechung für alle Offiziere der 1. Marine-Schiffsstammabteilung auf dem Dänholm bekam ich nachts um 12 Uhr am 29. auf den 30. April den Befehl vom Standortkommandanten Zollenkopf, das Segelschulschiff «Gorch Fock» zu versenken, damit es nicht in russische Hände fallen konnte. Es war völlig abgetakelt, die Segel befanden sich im Schuppen auf dem Dänholm, auch hatte es keinen Schiffsmotor an Bord, der lag zum Überholen auf einer Werft. Die Besatzung war von Bord gegangen. Der Kommandant Kapitänleutnant Kahle hatte eine andere Verwendung erhalten. Ich gab zwischen 1 und 2 Uhr des Nachts meinem Oberfeldwebel Bauer, dem Leiter des Bootshafens auf dem Dänholm, den Befehl, mit einem Maschinengefreiten auf einer Motorjolle zu diesem Segelschiff zu fahren, das in der Nähe des Halbinsel Drigge mitten im Strom verankert war. Es wurden die Bodenventile aufgedreht, so daß das Wasser im Schiff schnell aufsteigen konnte. Eine Sprengung war unmöglich, da am anderen Ufer, also auf Festlandseite, die Russen standen und entsprechend reagiert hätten. Sie hatten bereits am Tage zuvor mit der Artillerie einen Schleppzug beschossen und teilweise versenkt, der versucht hatte auf dem nördlichen Fahrwasser unter der langen Eisenbahnbrücke nach Sassnitz zu entkommen.
    Die Ostarbeiterin
    Antonina Romanowa *1927
Gut Alt-Neheim bei Greifswald
    Wir waren in 3 Baracken untergebracht: Polen, Ukrainer und wir, die Russen. Jeden Tag bei jedem Wetter mußten wir arbeiten. Meistens auf dem Felde. Am 30. April 1945 hatten wir Kartoffeln gelegt. Ich trug einen großen Korb voll von Kartoffeln mit dem Riemen um den Hals; sonnig und warm war es draußen. Auf einmal sahen wir, daß aus den Fenstern des dreistöckigen Hauses des Gutsbesitzers weiße Bettlaken herausgehängt wurden. Wir konnten das nicht verstehen. Die Betten hatte man erst vor zwei Tagen gelüftet. Und da erschienen plötzlich einige wild trabende Reiter. Das war ein Spähtrupp der Rotarmisten.
    «Wo sind die Deutschen?» fragten sie. – «Hier keine mehr.»
    Mein Gott! Wir umringten sie, wir zogen sie von den Sätteln herunter, wir küßten unseren Befreiern ihre Stiefel, die Steigbügel, wir streichelten ihre Pferde, wir waren betrunken vor Glück. Das war wohl die glücklichste Minute im Leben der anwesenden Ostarbeiter und -arbeite- rinnen.
    Nach dieser Aufklärung rollte dann den ganzen Tag lang unsere Truppe in Richtung Westen. Panzer, Pferdewagen. Wir standen am Rand der Straße, winkten unseren Soldaten und weinten vor Glück.
    Die

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