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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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jedesmal ungefähr 1000 Mann, dann kamen die Juden und zuletzt die Russen. – Während des Marsches hörten wir bereits das Gewehr- und Maschinengewehrfeuer der Front kurz hinter uns. Alle Brücken und Wege wurden bereits in die Luft gesprengt. Wir erfuhren, daß ein Teil der Russen bereits in die Hände der Amerikaner gefallen war und ein anderer Teil von dem Mordkommando zusammengeschossen war.
    Einzelne Kameraden versuchten nun auf eigne Faust beim Eintreten der Dunkelheit zu entfliehen, was manchen gelang und vielen aber das Leben kostete. Volkssturm und Werwolf töteten die meisten durch Genickschüsse. Der Weg, den wir zogen, war wiederum mit dem Blut der Ermordeten getränkt. Tode und Sterbende lagen an den Straßenrändern, ein Bild des Grauens und des namenlosen Elends spielte sich vor unseren Augen ab. Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung bemächtigte sich vieler Kameraden.
    Man trieb uns dann gegen Mitternacht in eine Schlucht und eröffnete, als wir Feuer anzünden wollten, Gewehr- und Maschinenpistolenfeuer auf uns. Es war bitterkalt diese Nacht, Regen und Schnee rieselte auf uns nieder, und wir mußten im Freien ohne jeden Schutz die Nacht verbringen.
    Der KZ-Häftling Max Mannheimer *1920
Poing
    Am 28. April 1945 kommt der Befehl zur Räumung des KZ-Lagers Mühldorf. Güterwagen stehen auf dem Gleis für uns bereit. Ich bin sehrabgemagert und muß direkt aus der Krankenbaracke in den Wagen geführt werden. Fünf Wochen Typhus haben mich sehr geschwächt. Auf meinen Bruder gestützt, erreiche ich den Wagen. Ich fühle mich in Sicherheit – geborgen. Nach einigen Stunden fährt der Transport los. Die Begleitmannschaft besteht nicht nur aus SS, sondern auch aus Wehrmachtsangehörigen. Das beruhigt uns ein wenig.
    In jeder kleinen Station bleiben wir stehen. Wir merken, daß wir nach Westen fahren. In Poing, unweit von München, bleiben wir länger stehen. Auf dem Nebengleis steht ein Zug mit Flakgeschützen. Plötzlich gibt es Alarm. Unsere Wachen, die den Zug umstellt haben, sind verschwunden. Ein amerikanischer Tieffliegerangriff richtet seine Geschosse auf die beiden Züge. Wir verlassen fluchtartig die Wagen und laufen in die Felder. Kann es wahr sein? Ist der Krieg zu Ende? Jedenfalls haben wir nicht mehr die Absicht, in die Wagen zurückzukehren. Einige Mithäftlinge kommen bei dem Fliegerangriff um. Jetzt, in letzter Minute. Auch ein Freund von uns. Ingenieur aus Prag. Fünf Jahre hat er durchgestanden. Umsonst.
    Mit der Freiheit dauert es nicht lange. Plötzlich sind wir umzingelt. Die Posten schießen über unsere Köpfe hinweg und treiben uns in die Waggons zurück. Der Transport fährt weiter. Es ist der 30. April 1945. Wir bleiben auf offener Strecke stehen. Von weitem sehen wir eine lange motorisierte Kolonne. Unsere Bewacher sind verschwunden. Wir öffnen die Waggons. Das Tor zur Freiheit. Einige hundert Meter von uns fährt eine amerikanische Militärkolonne. Wir sind frei. Wir können es noch nicht fassen. Ich bin zu schwach, um den Waggon zu verlassen.
    Neben dem Zug errichten die Amerikaner eine provisorische Ambulanz. Zwei Sanitäter nehmen sich der Kranken an, legen sie auf Feldbetten. Waschen sie. Geben ihnen Stärkungsmittel. Ambulanzwagen kommen. Die schwersten Fälle sollen in ein Krankenhaus gebracht werden. Wir sind wieder Menschen. Wir können in ein Krankenhaus gehen, ohne Angst zu haben. Wir sind frei.
    *
    Edgar Kupfer-Koberwitz 1906–1991
KZDachau
    Die Nachrichten laufen tropfenweise ein, viele Kameraden besuchen mich, – ich höre vieles, sondiere, so gut es geht, und erhalte folgendes Bild dessen, was man mir erzählt: Als die Alliierten auf dem Wege nach Dachau waren, fanden sie an einer Stelle einen Haufen von 400 erschossenen und erschlagenen Häftlingen, also Massakrierte. – Später fandensie einen anderen Haufen mit etwa ebenderselben Zahl. – In Dachau fanden sie dann einen Zug mit Toten angefüllt, auch massakrierte Häftlinge, etwa 2000 oder mehr, – man sagt, sie lagen sogar in offenen Wagen. – Angeblich sollen die Amerikaner daraufhin in die umliegenden Häuser der SS gegangen sein und niedergemacht haben, wen sie fanden. – Ob es so ist? – Es scheint mir nicht sicher. –
    Auf den Türmen und verschiedenen anderen Orten des Lagers wehten weisse Fahnen. – Als die Amerikaner sich jedoch dem Lager näherten, wurden sie von der SS beschossen. – Angeblich, – ich sage: angeblich, soll jedoch die Vereinbarung gewesen sein, dass das Lager Dachau bis

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