Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
Schutzpatron in der Gestalt eines sibirischen Nomaden, der in meinem Buch «Asiatische Reiterspiele» die Kirgisen-Bilder entdeckte und nunmehr ganz närrisch war. Alle paar Stunden erschien er zu Besuch, brachte immer etwas zu essen mit, ein Kochgeschirr voll Erbswurst oder ein Brot oder Bonbons für die Mädchen. Wenn betrunkene Soldaten kamen, drängte er sie hinaus, und als seine Kolonne schließlich abmarschierte, machte er einen regelrechten Abschiedsbesuch.
Elisabeth Ditzen 1868–1951
Carwitz
Montag, wohl der allerschwerste Tag. Am Morgen ganz früh kam ein Kraftfahrer mit unserm Leutnant vom Tag vorher, der nun ganz anders war als am Tag vorher. Auf mein Guten Morgen winkte er gleich abweisend ab. Der Kraftfahrer hatte wohl höheren Rang, er war sehr zornig, daß wir keine Uhr gaben. Frau nicht lügen, sagte er zu Suse, dann ging er in die Garage. Sie wollten das Auto haben, von Frau Burlage, aber die Batterie fehlte, sie war abgegeben. [...]
Am Nachmittag begann dann für uns eine Leidenszeit, besonders für Suse. Eine Horde nach der andern erschien mit Gewehr, mit Gerten, mit Degen. Wieder ertönte das schreckliche Wort: Uhrr, Uhrr. Wir konnten nur auf die beiden Wecker zeigen, die sie aber abwiesen. Dann ging in jeder Stube, in jedem Raum das Wühlen an. Es sah nachher unbeschreiblich aus. Jeder Knopf im Nähkasten, alles Handswerkszeug wurde nachgesehen, aus allen Schränken und Koffern geräubert. Es war wohl ein Unglück, daß hierher so viel Koffer gebracht waren. [...]
Der junge Russe, der meines lieben Mannes Uhr nahm, starrte mich beim Weggang an und gab mir plötzlich die Hand. Vorher wollte ernoch einen Stein in mein Radio werfen, aber Suse sagte: Deutschland ist so kaputt, bitte nicht! Da ließ er es.
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Adolf Hitler 1889–1945
Berlin/Führerbunker
Politisches Testament
Ich stosse vor meinem Tode den früheren Reichsführer-SS und Reichsminister des Innern, Heinrich H i m m l e r aus der Partei sowie aus allen Staatsämtern aus. Ich ernenne an seiner Stelle den Gauleiter Karl H a n k ezum Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei und den Gauleiter Paul G i e s l er zum Reichsminister des Innern.
Göring und Himmler haben durch geheime Verhandlungen mit dem Feinde, die sie ohne mein Wissen und gegen meinen Willen abhielten, sowie durch den Versuch, entgegen dem Gesetz, die Macht im Staate an sich zu reissen, dem Lande und dem gesamten Volk unabsehbaren Schaden zugefügt, gänzlich abgesehen von der Treulosigkeit gegenüber meiner Person.
Um dem deutschen Volk eine aus ehrenhaften Männern zusammengesetzte Regierung zu geben, die die Verpflichtung erfüllt, den Krieg mit allen Mitteln weiter fortzusetzen, ernenne ich als Führer der Nation folgende Mitglieder des neuen Kabinetts: [...]
Obwohl sich eine Anzahl dieser Männer, wie Martin Bormann, Dr. Goebbels usw. einschließlich ihrer Frauen, aus freiem Willen zu mir gefunden haben und unter keinen Umständen die Hauptstadt des Reiches verlassen wollten, sondern bereit waren, mit mir hier unterzugehen, muß ich sie doch bitten, meiner Aufforderung zu gehorchen und in diesem Falle das Interesse der Nation über ihr eigenes Gefühl zu stellen. Sie werden mir durch ihre Arbeit und ihre Treue als Gefährten nach dem Tode ebenso nahestehen, wie ich hoffe, daß mein Geist unter ihnen weilen und sie stets begleiten wird. Mögen sie hart sein, aber niemals ungerecht, mögen sie vor allem nie die Furcht zum Ratgeber ihres Handelns erheben und die Ehre der Nation über alles stellen, was es auf Erden gibt. Mögen sie sich endlich dessen bewusst sein, daß unsere Aufgabe des Ausbaus eines nationalsozialistischen Staates die Arbeit kommender Jahrhunderte darstellt, die jeden einzelnen verpflichtet, immer dem gemeinsamen Interesse zu dienen und seine eigenen Vorteile demgegenüber zurückzustellen.
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Der sowjetische Obersergeant
Iwan Kowtschenko *1927
(Berlin)
Die Kämpfe um Berlin zeichneten sich durch besondere Härte und Widerstandskraft der Deutschen aus. Manchmal hatte man den Eindruck, daß uns eine frische und nicht mitgenommene Armee gegenübersteht. Keinen Fußbreit Land wollte der Feind kampflos aufgeben. Unsere 5. Stoßarmee durchbrach verhältnismäßig schnell die feindlichen Verteidigungslinien am äußersten Ring um Berlin, und schon am 22. April 1945 führte unser Bataillon erbitterte Straßenkämpfe unmittelbar in der Stadt, indem wir langsam vom Nordosten her zur Stadtmitte vorrückten. Alles stand im Feuer. Wir schonten
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