Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
für Jahre üblen Fischgestank atmen mußten. Unsere Lagerführerin, Frau Böhme, eine bildhübsche Dame, war sehr streng, aber gerecht. Eines Tages ließ sie mich zu sich kommen, sie wollte mir einen Auftrag geben. Aber ich konnte nicht verstehen, was sie mir zu erklären versuchte. So stand ich vor ihr und blinzelte mit den Augen. Frau Böhme war außer sich und holte schon aus, mich zu schlagen. In diesem Augenblick traten mir die Tränen in den Augen, und Frau Böhme ließ ihre Hand sinken. Sie begann mich zu trösten und brachte mir eine Dose Fischkonserven. Dann befahl sie einem Polen, mir den Auftrag zu erklären. Sie entschuldigte sich sogar bei mir. Zum Essen gab man uns sehr wenig, wir hatten stets Hunger. Deshalb klauten wir Heringe am Arbeitsplatz, die wir in unseren Strümpfen versteckten oder sogar unter die Zöpfe auf dem Kopf einflochten. Vor jeder Razzia wurden wir seltsamerweise rechtzeitig gewarnt, an diesen Tagen nahmen wir dannnichts. Ich bin sicher, daß Frau Böhme hinter diesen Warnungen steckte. Einmal gab sie mir Strümpfe von sich: «Nimm, deine stinken so übel nach Fisch!» Ich bekam einen roten Kopf, doch Frau Böhme sagte nichts und ging weg.
*
Joseph Goebbels 1897 –1945
(Berlin)
Rundfunkansprache
Er [Adolf Hitler] ist der Kern des Widerstandes gegen den Weltverfall. Er ist Deutschlands tapferstes Herz und unseres Volkes glühendster Wille. Ich darf mir ein Urteil darüber erlauben, und es muß gerade heute gesagt werden: Wenn die Nation noch atmet, wenn vor ihr noch die Chance des Sieges liegt, wenn es noch einen Ausweg aus der tödlich ernsten Gefahr gibt, – wir haben es ihm zu verdanken. Er ist die Standhaftigkeit selbst. Nie sah ich ihn wankend oder verzagend, schwach oder müde werden. Er wird seinen Weg bis zum Ende gehen, und dort wartet auf ihn nicht der Untergang seines Volkes, sondern ein neuer, glücklicher Anfang zu einer Blütezeit des Deutschtums ohnegleichen. Hört es, Ihr Deutschen! Auf diesen Mann schauen heute schon in allen Ländern der Erde Millionen Menschen, noch zweifelnd und fragend, ob er einen Ausweg aus dem großen Unglück wisse, das die Welt betroffen hat. Er wird ihn den Völkern zeigen, wir aber schauen auf ihn voll Hoffnung und in einer tiefen, unerschütterlichen Gläubigkeit. Trotzig und kampfesmutig stehen wir hinter ihm: Soldat und Zivilist, Mann und Frau und Kind – ein Volk, zum Letzten entschlossen, da es um Leben und Ehre geht. Er soll seine Feinde im Auge behalten; darum versprechen wir ihm, daß er nicht hinter sich zu blicken braucht. Wir werden nicht wanken und nicht weichen, wir werden ihn in keiner Stunde, und sei es die atemberaubendste und gefährlichste, im Stiche lassen. Wir stehen zu ihm, wie er zu uns – in germanischer Gefolgschaftstreue, wie wir es geschworen haben und wie wir es halten wollen. Wir rufen es ihm nicht zu, weil er es auch so weiß und wissen muß: Führer, befiehl – wir folgen! Wir fühlen ihn in uns und um uns. Gott gebe ihm Kraft und Gesundheit und schütze ihn vor jeder Gefahr. Das übrige wollen wir schon tun.
Unser Unglück hat uns reif, aber nicht charakterlos gemacht. Deutschland ist immer noch das Land der Treue. Sie soll in der Gefahr ihren schönsten Triumph feiern. Niemals wird die Geschichte über diese Zeit berichten können, daß ein Volk seinen Führer oder daß ein Führer seinVolk verließ. Das aber ist der Sieg. Worum wir so oft im Glück an diesem Abend den Führer baten, das ist heute im Leid und in der Gefahr für uns alle eine viel tiefere und innigere Bitte an ihn geworden: Er soll uns bleiben , was er uns ist und immer war – unser Hitler !
Der Chemiker
Dr. Julius Voß 1898–1968
Wiesbaden-Biebrich
Wie sinnlos dieser Befehl der obersten Führung, jede Stadt zu verteidigen, ist – man begründet ihn damit, daß jede Stadt ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt ist –, geht aus einer Meldung der Feindseite hervor, daß in 14 Tagen 4000 deutsche Flugzeuge zerstört worden seien!
Und was sagt Dr. Goebbels dazu? Er sagt in seinem Artikel am vergangenen Freitag, daß wir jetzt um die Ehre kämpfen und kein Mensch uns ansieht, wenn wir kapitulieren. Hierüber ist Clausewitz, der so gern früher zitiert wurde, anderer Ansicht. Für ihn hat das mit Ehre nichts, sondern nur mit Borniertheit etwas zu tun.
Gestern abend sprach er zum Vorabend des Geburtstages von Adolf Hitler. Es war das die tollste Rede, die er je gehalten hat. Sie hatte verzweifelte Ähnlichkeit mit dem Verhalten eines vor
Weitere Kostenlose Bücher