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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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riesige Fahne, schön straff gespannt. Die Kriegserklärung hörte ich in Upton in meinem Badezimmer. Jetzt hier an diesem schwülen Nachmittag den Frieden. Es ist 11 Uhr abends + ich höre verschwommene Klänge von Jubel in der Ferne: Jubelrufe + Fetzen von Gesang + und gelegentliches Knallen, das wie Feuerwerk klingt.
    John Colville 1915–1987
Floors
    Am Dienstag, dem 8. Mai, feierten wir den Sieg in Europa. Mary und ich lunchten bei den Balfours in Newton Don, spielten Bridge und hörten die Rundfunkrede des Premierministers, der das Ende des Krieges gegen die Deutschen verkündete. Am Abend fuhren wir zu einem überfüllten Dankgottesdienst nach Keslo, um uns das große Freudenfeuer anzusehen. Man begrüßte Mary, die von der Menge erkannt wurde, mit Applaus. Im übrigen verbrachte ich die Tage auf der Taubenjagd, stöberte in der herrlichen Bibliothek herum und machte lange Spaziergänge mit Mary. Am Freitag radelten wir hinüber zu Elisabeth Dungless und besichtigten mit ihr Lord Holmes’ wundervolle Rhododendron-Pflanzungen. Samstag mittag war ich wieder zu Hause.
    Lord Alanbrooke 1883–1963
London
    8. Mai. Siegestag. Ein durch den Sieg desorganisierter Tag. Eine Art von Desorganisation, mit der ich mich aber abfinden kann. [...]
    Um 16.10 Uhr fuhr ich vom Kriegsministerium zum Buckinghampalast, wo ich 16.30 Uhr zu erscheinen hatte. Eine Versammlung des Kriegskabinetts und der Stabschefs beim König. Ich kam mit Mühe über Whitehall hinüber, schlug mich die Mall entlang durch und geriet vor dem Palast in eine undurchdringliche Menge. Aber mit viel Hupen und Geduld kamen wir doch durch und rechtzeitig an.
    PM [Premierminister] verspätete sich sehr, er hatte darauf bestanden, im offenen Wagen zu kommen!
    Endlich waren nach Cunningham, Portal, Ismay und Bridges auch PM, Bevin, Woolton, Lyttelton, Morrison, Sinclair und Anderson beisammen. Der König hielt eine sehr nette beglückwünschende Ansprache und schloß mit einem Hinweis auf die Stabschefs als die Organisation, von deren wirklichem Anteil an der Sicherung des Kriegserfolges wahrscheinlich nur die Anwesenden eine Ahnung hätten.
    Dann wurden wir fotografiert, erst alle zusammen und dann nur der König, der PM und die Stabschefs.
    Darauf begaben wir uns zum Innenministerium, wo ein Balkon errichtet worden war, auf den der PM, das Kabinett und die Stabschefs hinaustreten sollten, um sich der Menge in der Whitehall zu zeigen und ihre jubelnden Zurufe zu empfangen. Die riesige Menge erstreckte sich vom Kriegsministerium bis zum Parliament Square.
    Der Leibarzt Lord Moran 1882–1977
London
    Die Aufforderung der Regierung an die Hausfrauen, sich für den Tag des Sieges mit Brot einzudecken, hat nicht die gewünschte Wirkung gehabt. Überall vor den Bäckerläden standen Schlangen, als ich zum Oberhaus ging, um die Siegesansprache des Premierministers zu hören. In der Bibliothek war kein Stuhl frei; ich lehnte mich an eine der Leitern, die für die oberen Fächer der Regale gebraucht werden.
    Um drei Uhr kam Winstons Radioansprache von der Downing Street durch den Lautsprecher. Es war eine kurze, nüchterne Erklärung, wenn auch der Schluß etwas aufgeputzt klang.
    «Vorwärts, Britannia! Es lebe die Freiheit! Gott erhalte den König!» Der Peer neben mir (ich wußte seinen Namen nicht; bei dieser Gelegenheit sah man alle möglichen fremden Gesichter) fand es sonderbar, daß in der Rede der Herrgott nicht weiter erwähnt wurde. Es gab jedoch keinen Zweifel, wem Winston in seinem Herzen den Dank abstattete. Ich fragte John Masefield, was er dachte. «Mir ist», antwortete er, «die aufrechte Art Winstons lieber als die falsche Rhetorik eines kleineren Mannes. Lloyd George wäre bestimmt pathetisch geworden.» Lincoln, wandte ich ein, hätte einen feierlichen Ton angeschlagen. Masefield gab mir recht, meinte jedoch, daß Lincoln auch ein Mann von tiefer Frömmigkeit gewesen sei.
    *
    Die Krankenschwester
    Maud Cole *1888
Pflegeheim in Somerset
    Ein Gewitter begrüßte den VE-Tag, war aber vorbei, als ich ging, um mich in der längsten Fischschlange anzustellen, die es je gab. Als ich den Laden des Gemüsehändlers erreichte, wurde er nach wenigen Minuten geschlossen, so daß ich gerade noch die Kartoffeln bekam. Nachdem ich im Haushalt einige Arbeiten erledigt hatte, brachte ich etwas Fisch zu Miss W., die genau wie Mrs. E. wegen Rußland besorgt war. Ich verpaßte die Nachrichten um 1 Uhr. Nach dem Mittagessen (gebratener Fisch, gekochte Kartoffeln; kleine

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