Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
zum Glauben, dressiert wie kein Mohammedaner, – was sind sie denn wirklich jetzt, wenn ihr Glaube zusammenstürzt? Was bleibt von ihnen übrig? Was sonst war in ihnen vorbereitet? Welches zweite Leben könnten sie jetzt beginnen? Was sonst sind sie ohne ihren furchtbaren militärischen Glauben? Wiesehr fühlen sie ihre Ohnmacht, da es für sie nichts als Macht gab? Wohin können sie noch fallen? Was fängt sie auf?
Vielleicht, weil wir nicht einmal aufatmen dürfen, zwischen diesem Krieg und dem nächsten, wird dieser doch nie kommen.
Eine Erfindung, die noch fehlt: Explosionen rückgängig zu machen [...]
Wir kommen von zuviel her. Wir bewegen uns auf zuwenig weiter [...] Man kann nicht atmen, es ist alles voll Sieg.
Stefan Heym 1913–2001
Bad Nauheim
Zu Ende: Das deutsche Oberkommando hat sich ergeben, bedingungslos. VE-Day, der Tag des Victory in Europe, auf den man so lange gewartet hat, ist gekommen, der Spuk ist vorbei. Der Sergeant S. H. kleidet sich langsam an, dann greift er nach seiner Pistole, begibt sich in den Hof der Villa und feuert das ganze Magazin, eine Patrone nach der anderen, in die Luft. Draußen laufen die Menschen zusammen, begaffen durch das eiserne Gitter hindurch den einsamen Soldaten, der seine Pistole im Holster unter der Schulter wieder verstaut und achselzuckend zurück- schreitet ins Haus; er wird noch rasch einen Kaffee trinken, ein Mini- Päckchen Pulver auf eine Tasse heißen Wassers, bevor er quer durch den Park hinübergeht in die Redaktion. Sieg, Sieg bedeutet zunächst einmal zusätzlich Arbeit.
Gerade will er den Rasen betreten, den Kurrasen, den gepflegten, der Kiesweg rund um die Grünfläche ist ihm zu lang und zu langweilig, und da sind auch die zwei Bübchen, fünf- oder sechsjährig, die auf dem Gras herumtollen in der Sonne, da – Gott inszeniert sein eignes Theater – taucht eine Amtsperson auf, eine Art Parkwächter oder auch Förster, in moosgrünen Breeches, die ebenso moosgrüne Jacke stramm über Brust und Bauch und das befiederte Hütchen schnurgerade ausgerichtet über der Nasenwurzel, und schnauzt die Bübchen an.
Der Sergeant S.H. versteht nur «Verboten!» und geht zu auf den Uniformierten und stellt ihn. Er irre sich, teilt er ihm mit, es sei nicht verboten, auf dem Rasen zu spielen, und er möge die Kinder gewähren lassen. Der Mann blickt S. H. an aus verkniffenen Augen, die Lippen zittern ihm, er wagt nicht zu widersprechen, er deutet nur auf das Schild, weißbemaltes Holzbrett, dreißig Zentimeter über dem Gras: Verboten! Der Sergeant S. H. grinst. Auch dieses Schild gelte nicht mehr, erklärt er dem Grünen, es sei aus und vorbei nun mit der alten Ordnung, und Freiheit herrsche von jetzt an in Deutschland, und alle dürfen tanzen und singen, überall, neue Tänze, neue Lieder, und umherhüpfen auf dem Kurrasenim Kurpark von Nauheim, kapiert? Und plötzlich, in dem Ton, den der Mann gewöhnt ist: «Still gestanden! Kehrt! Abtreten!»
Der pariert auf der Stelle, schleicht ab, die Schultern gekrümmt. Eine Welt ist zusammengebrochen, seine.
Also doch, endlich: Sieg!
Aber auch die Bübchen haben sich davongemacht, nicht übers Gras, auf dem Kiesweg.
*
Thomas Mann 1875–1955
Pacific Palisades
Kapitulation Deutschlands erklärt. Schwerin-Krosik und [?] war noch bei Eisenhower zur Unterzeichnung der unbedingten Übergabe an die drei Mächte. Döniz ordnet die Rückkehr der U-Boote zu ihren Basen an. Ausgeschlossen ist das Kommando von Prag, das rebelliert u. den Kampf fortsetzt. Mitteilung an das deutsche Volk: Die Überlegenheit des Gegners an Menschen u. Material zwinge zum Niederlegen der Waffen. Deutschland solle ruhig bleiben und ein neues Leben beginnen. Wäre dies letztere ehrlich gemeint! [...] Meldung, daß die Leichen des Göbbels und der Seinen gefunden seien. Außerdem die des Feldmarschalls von Bock. Die deutschen Truppenteile, die sich in letzter Zeit ergeben, bestehen aus «prächtigem», wohl unterhaltenem Menschenmaterial. Man hat sie geschont und das Kruppzeug geopfert. – – Ist dies nun der Tag, korrespondierend mit dem 15. März 1933, als ich diese Serie von täglichen Aufzeichnungen begann, – also ein Tag feierlichster Art? Es ist nicht gerade Hochstimmung, was ich empfinde. Natürlich ist die gegenwärtige deutsche Regierung nur episodisch, Instrument der Kapitulation, da Eisenhower keinen Himmler ins Zelt lassen konnte. Übrigens aber wird dies oder das mit Deutschland, aber nichts in Deutschland geschehen, und
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