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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Freies Deutschland» – vom sowjetischen Kommandanten in den großen Speisesaal zusammengerufen. Mit feierlicher Stimme verlas er uns die offizielle Tass-Mitteilung über die in der vergangenen Nacht in Berlin-Karlshorst erfolgte bedingungslose Kapitulation der Führung der Hitler-Wehrmacht.
    Nun endlich war es Wirklichkeit: Dieser schreckliche, verbrecherische, von Hitler-Deutschland vom Zaun gebrochene Krieg war zu Ende. All unser Bemühen, Deutschland das Schicksal von Stalingrad zu ersparen, war erfolglos geblieben. Wie in Stalingrad folgten die Generäle der Wehrmacht Hitler bis zum bitteren Ende. Aber dann löste sich doch die Stimmung, und wir eilten auf die sowjetischen Offiziere zu, schüttelten ihnen die Hände, gratulierten ihnen und umarmten sie. Wir, die wir seit Gründung des Nationalkomitees für die schnelle Beendigung des Krieges durch den Sturz Hitlers gewirkt hatten – durch unsere Zeitung und unseren Sender im Hinterland und durch Flugblätter und Lautsprecherpropaganda an der Front –, wir empfanden nur natürlich diesen Sieg auch als unseren, denn nun war wirklich der Weg frei für ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland. Davon waren wir damals fest überzeugt.
    *
    Der Diplomat George F. Kennan *1904
Moskau
    Erst am 9. Mai, einen Tag nach der Beendigung der Kämpfe im Westen, gaben die bis dahin trotz der Kapitulation der Deutschen vor Briten und Amerikanern immer noch mißtrauischen Russen zu, daß auch im Osten der Widerstand aufgehört habe und der Krieg in Europa damit beendetsei, und teilten das ihrem Volke mit. Die Nachricht verbreitete sich in Moskau in den ersten Morgenstunden des Zehnten; und bei Tagesanbruch war die Stadt von einer Feiertagsstimmung gepackt, deren überschäumende Begeisterung alle üblichen Gebote der Disziplin hinweg- schwemmte.
    Natürlich zeigten wir die amerikanische Flagge von unserm kombinierten Kanzlei- und Wohngebäude im Zentrum der Stadt, und vom Hotel National, das Wand an Wand mit unserm Haus stand, wehten die Fahnen derjenigen Verbündeten, deren unglückselige Vertreter in Moskau keine eigene Bleibe hatten finden können und die deshalb ihre amtlichen Geschäfte immer noch vom Hotelzimmer aus besorgten, so wie wir es 1934 mehrere Monate lang getan hatten.
    Gegen 10 Uhr morgens marschierten Gruppen junger Leute, vielleicht Studenten, singend und fahnenschwenkend die Straße entlang, erblickten die Flaggen der Alliierten am Hotel National und brachen in herzliche Hochrufe aus. Als sie dann hinter dem Hotel das Sternenbanner entdeckten, malte sich in den Gesichtern und Gesten der meisten von ihnen Überraschung und Entzücken; sie stoppten den Vorbeimarsch, stellten sich vor dem Botschaftsgebäude auf und demonstrierten in einem wahren Taumel der Begeisterung ihre freundschaftlichen Gefühle. Der Platz vor dem Gebäude war geräumig – er hätte zweihunderttausend Menschen gefaßt – und bald hatten sich unsern ursprünglichen Gönnern Tausende von anderen zugesellt, die in die Hurras einstimmten und winkten und keine Lust hatten, weiterzuziehen. Uns selbst bewegte und freute dies Zeichen der Volksstimmung, nur wußten wir nicht recht, wie wir darauf reagieren sollten. Wenn einer von uns sich auf der Straße zeigte, wurde er sofort ergriffen, begeistert in die Luft geworfen und von Hand zu Hand über den Köpfen der Menge weitergereicht, bis er sich irgendwo am äußeren Rand des wonnetrunkenen Durcheinanders verlor. Kaum einer von uns war erpicht auf ein Erlebnis dieser Art, und so versammelten wir uns auf den Balkonen und winkten, was die Arme hergaben. Als Geste der Erwiderung schickte ich einen von uns übers Dach zum Hotel National und besorgte von dort eine sowjetische Fahne, die wir neben die unsere hängten. Das veranlaßte die Menge erneut zu Jubelrufen. Aber auch das schien nicht genug. Als Geschäftsträger – der Botschafter war außer Landes – fühlte ich mich verpflichtet, mit ein paar Worten unsere Dankbarkeit zu zeigen. Die Balkone waren zu hoch, als daß man mich von dort verstanden hätte; also stieg ich hinunter ins Hochparterre und kletterte auf den Sockel einer der großen Säulen, die die Fassade des Gebäudes schmückten. Ein paar andere kamennoch mit, darunter (aus irgendeinem in dem fröhlichen Durcheinander dieses Tages untergegangenen Grund) ein Sergeant unserer Militärmission in Uniform, der, wie ich glaube, in Wirklichkeit Pastor war. Unser Erscheinen löste eine neue Woge der Begeisterung aus. Die Polizei, die

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