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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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sondern des Vaterlandes.»
    «Aber wir waren Ihnen immer treu und werden es immer sein ...»
    «So viele Schwüre! So viele Worte der Treue, der Hingabe! Heute erst erkenne ich, wer wirklich treu ist, wer ein echter Faschist ist! Ihr seid es, die immer gleich treu sind, in guten wie in schlechten Zeiten. Es war leicht, mir 1938 zuzujubeln! Ich habe eine ganze Liste von Personen, die nicht mehr wußten, was sie tun sollten, um mir zu gefallen! Und beim ersten Anzeichen des Sturms haben sie sich zuerst vorsichtig zurückgezogen, um die Entwicklung der Ereignisse zu beobachten, und dann haben sie sich auf die Seite des Feindes geschlagen. Wie betrüblich! Aber welch ein Trost, endlich zu sehen, wer die Reinen, die Wahren, die Aufrichtigen sind. Man kann die Idee verraten, mich verraten, aber nicht das Vaterland.»
    *
    Odd Nansen 1901 –1973
Lübeck
    Ich sitze im Omnibus und schreibe. Im Bus – zur Freiheit. Es geht durch Deutschland, Richtung Norden, über die Norddeutsche Tiefebene. Wir sind nicht weit von Lübeck, aber das Ziel der Reise ist weiter nördlich, wir hoffen Schweden. Die Nachricht kam gestern abend, nachdem wir zu Bett gegangen waren. Um vier Uhr sollten wir geweckt werden und reisefertig um 6 Uhr sein! Wir durften nur so viele Kleider mitnehmen, als wir tragen konnten, und ganz wenig Essen.
    Geschlafen habe ich nicht viel heute nacht. Ich lief stundenlang draußen herum, konnte mich einfach nicht dazu bequemen, diese letzte Nacht zu Bett zu gehen. Draußen herrschte eine lebhafte Tätigkeit. Ununterbrochen war Fliegeralarm. Bomben krachten, Kanonen donnerten, undMaschinengewehre knatterten an allen Enden. Man hatte den Eindruck, als wenn man mitten drin stünde – ohne daß es so war, denn es fielen keine Bomben, keine Splitter und Granaten. Sogar das war unwirklich geworden. Und doch gab es Unruhe im Lager. Einige Gefangene hatten irgendwo Pakete gestohlen. Sie wurden eingefangen und geschlagen. Ihre Schreie und ihr Gebrüll tönten unheimlich in die mondklare Nacht hinaus, zwischen den Bombendonner und die langgezogene Unheimlichkeit der Fliegersirenen. Hunderte von Gefangenen waren damit beschäftigt, ihre Matratzen auf den Appellplatz hinauszutragen und das Stroh auf einen großen Haufen zu schütten. Warum? Sollte es verbrannt werden mit den Millionen von Läusen und Bazillen? Ich weiß es nicht. Der Haufen lag noch dort, als wir heute morgen abzogen. Wie alles andere unter dem hiesigen Kommando vollzog sich auch dieser Vorgang unter Gebrüll und Geschrei, rasenden Kommandos und Schimpfworten. Auch dies gab dieser letzten Nacht eine «heimatlich» bekannte Melodie. Wir halten jetzt gerade in Lübeck. Wir sind durch die Stadtmitte gefahren und haben die Zerstörungen gesehen. Es war traurig, den Rathausplatz mit dem alten, schönen Rathaus, der Marienkirche und dem Dom zerstört zu sehen. Gerade der schönste Teil von Lübeck ging in Trümmer, und doch ist Lübeck wohl eine jener Städte, die am billigsten davongekommen sind.
    Dokumentation «Cap Arcona»
Neustadt/Holstein
    Gegen 5 Uhr erfolgte der Abtransport der 4255 dänischen und norwegischen KL-Häftlinge aus ihrem Sonderlager im KL Neuengamme mit den «Weißen Bussen» des Schwedischen und Dänischen Roten Kreuzes.
    Die für die Skandinavier bestimmten RK-Verpflegungspakete, die nun nicht mehr benötigt wurden, verblieben zur weiteren Verwendung für die übrigen KL-Insassen in Neuengamme.
    Hiermit war die Hauptaktion des Grafen Bernadotte zur Rettung von skandinavischen Häftlingen beendet. Weitere Neuengammer KL-Gefangene wurden zu je 50 Personen in Viehwaggons nach Lübeck und dann auf die «Thielbek» gebracht. Aufgrund der Tieffliegerangriffe waren die Bahnlinien häufig unterbrochen, sodaß die Häftlinge sehr lange auf Nebengleisen in den Zügen ausharren mußten. Zum Teil ging es von diesen Zwischenstationen zu Fuß in Todesmärschen weiter.
    Noch am Morgen kamen 2300 Häftlinge aus Neuengamme auf dieses Frachtschiff. 280 Wachleute bezogen dort ebenfalls Quartier. Nur vereinzelt empfingen die Gefangenen Hungerrationen aus Paketbeständender neutralen Hilfsorganisationen. Den Hauptteil der Gaben hielt die SS für sich zurück.
    Die «Athen» wurde ebenfalls mit Gefangenen beladen und versuchte am Abend, diese Zwangspassagiere an die «Cap Arcona» abzugeben. Aber unverrichteter Dinge lief die «Athen» wieder im Lübecker Hafen an ihren Liegeplatz zurück. Die Zustände in den überfüllten Laderäumen der Schiffe waren unerträglich.

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