Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
vergnügten sich Soldaten und Offiziere mit den Stabshelferinnen. Deren Schutzbedürfnis und ihre verzweifelte Hoffnung, sich mit Hilfe irgendeines Offiziers oder Feldwebels noch aus Berlin retten zu können, ließ alle Hemmungen schwinden. Die letzte Nacht bevor die ersten Granaten der russischen Fernartillerie in den Straßen Berlins einschlugen, ähnelte in Tempelhof einem Tanz auf dem Vulkan.
*
Friedrich Pechtold *1929
Bayerischer Wald
Es ist der 20. April, der Führer hat Geburtstag. Die Kompanie sitzt an einem Hang mit wundervoll blühenden Apfelbäumen. Leutnant Weber hält eine Rede und sagt, daß es nun darum geht, daß das Werk unseresFührers nicht zerstört werden darf, und auch wir sollen dabei mithelfen. Nachmittags läßt er uns hinter einer Scheune antreten und hält noch eine Ansprache: «Wer jetzt nicht mehr mitmachen will, der soll jetzt vortreten und es sagen, aber wir werden ihn und seine Sippe verfolgen bis ans Ende der Welt!» Und dann werden wir auf den Führer vereidigt. Ich bin ein bißchen enttäuscht: Es ist kein bißchen feierlich, eine Fahne haben wir auch nicht, wir stecken noch in unseren buntscheckigen Uniformen, und außer ein paar Übungsmodellen haben wir auch keine Waffen.
Wir haben aber auch Sorgen und gehen damit zu Unteroffizier Stolze: Wenn es jetzt ernst wird, dann müßten wir Soldbücher haben und nicht mehr unsere Wehrpässe. Schließlich zeigt der Wehrpaß, daß man eben zur Zeit nicht bei einer offiziellen Einheit ist. Wir wissen, daß es die Amerikaner damit sehr genau nehmen: Wer kein Soldbuch, aber ein Gewehr hat, hat nach der Genfer Konvention nicht den Kombattantenstatus, und wer den nicht hat, den braucht man nicht gefangenzunehmen, sondern kann ihn gleich umlegen. In Kohlscheid, wo ich damals zum Schanzen war, haben sie sieben Luftwaffenhelfer gefangen und gleich erschossen. Den Heldentod – wenn’s sein muß – ja! Aber doch nicht so!
Unteroffizier Stolze weiß aber auch keinen Rat; wir bekommen keine Soldbücher, und dabei bleibt es.
Als wir abends ins Quartier rücken, läuft uns einer mit dem Ruf «Panzeralarm!» entgegen. Der Bataillonschef kommt und sagt, daß es nur falscher Alarm ist. – Die französischen Kriegsgefangenen, die auf unserem Hof arbeiten, ziehen ihre besten Anzüge an.
Dann kommt ein Traktor mit zwei Anhängern in den Hof gefahren, die sofort entladen werden: Tarnanzüge, Zeltplanen, Stiefel, Panzerfäuste, Maschinenpistolen, Maschinengewehre und Gewehre. Als wir gegen 22.00 Uhr zum Schlafen ins Stroh kriechen, hat jeder einen Tarnanzug; den Hoheitsadler der SS auf dem Armel müssen wir vorher abtrennen. Die Anzüge sind dick gefüttert und weit geschnitten; ich kann meine ganze sonstige Kluft darunter anbehalten. Der Stoff und auch die Mützen sind grün-braun feinfleckig gemustert. Auf 15 Mann kommen außerdem ein MG 42, vier bis fünf Panzerfäuste, elf russische Maschinenpistolen, die auf deutsche Munition umgearbeitet sind, ein Schnellfeuergewehr mit Zielfernrohr und ein Karabiner 98 k. In den Panzerfäusten ist am Rohrende ein Waschzettel eingeschoben, auf dem genau beschrieben ist, wie der wehrhafte deutsche Mensch – ob Mann oder Frau, ob Kind oder Greis – damit ganz einfach Feindpanzer abschießen kann. Nur aufpassenmuß man, weil beim Abschuß hinten eine mächtige Stichflamme rauskommt:
«Ob Panzerfaust, ob Panzerschreck,
vorne frei und hinten weg!»
Friederike Grensemann *1924
Berlin-Wilmersdorf
Am 20. April, Führergeburtstag, ging ich ins Büro, wo ich dann beurlaubt wurde. Als ich zu Hause war, kam auch Vatsch [Vater]. Er wollte nur seinen Ledermantel holen, er trug Uniform, die Binde VOLKSSTURM am Arm. Er war endgültig einberufen!
Es kam der Abschied – wir haben nicht viel miteinander gesprochen. Als er fertig war, gab er mir seine Pistole. « Es ist aus, mein Kind, verspreche mir, daß Du Dich erschießt, wenn die Russen kommen, sonst habe ich keine ruhige Minute mehr.» Er gab mir noch die Anweisung, den Lauf in den Mund zu halten. Dann noch eine Umarmung, ein Kuß! Alles stumm! Er ging. – Draußen wartete Dr. Ott im Auto. Er stieg ein – sie fuhren los, um die Ecke in die Mannheimer Straße. Er hob den rechten Arm, nicht zum deutschen Gruß, und er winkte auch nicht. Ich ging ins Haus zurück. Was sollte ich nur tun? Ich weiß noch, daß ich am anderen Ende unserer Couch an den noch warmen Ofen gelehnt saß. Was mache ich nur? Ist jetzt alles aus? – Ich suchte Bilder zusammen und stellte sie auf
Weitere Kostenlose Bücher