Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
zu, sie stürzen sich darauf und schlagen sich darum. Sie sind Tage unterwegs. Sie sind verhungert. Die Waggons – ich vergesse es nie. Das Halbdunkel, die Holzkisten und Zellstoff, Dreck, Kleidungsstücke, bemacht – und doch so leer. Ein zu grauenhafter Gestank von altem Mist, und am glitschigen Fußboden, hinter Kisten, im Dunkel ein weißer, leuchtender Fuß eines Toten, eines, der vor einer Woche noch lebendig war. Und in all dem Elend wurde mir klar, wie gut es ist tot zu sein. Auf Tragbahren heraus ... In der Nacht 6 Waggons Ungarn.
H. G. Adler 1910–1988
(KZ Theresienstadt)
17539 Gefangene in Theresienstadt (ca. 7000 Protektorat, 5500 Deutschland, 1250 Österreich, 1250 Holland, 1400 Slowakei, 1000 Ungarn) 36,6% der Gefangenen nicht mosaisch.
Transporte aus KZ-Lagern kommen an – bis 10. Mai ca. 13 500–15000 Häftlinge
Himmler verhandelt mit dem schwedischen Juden Masur u. a. wegen Theresienstadt.
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Der Adjutant
Nicolaus von Below 1907–1983
Berlin/Führerbunker
Zur Lagebesprechung am 20. April, Hitlers 56. Geburtstag, fanden sich alle noch in Berlin befindlichen prominenten Persönlichkeiten ein. Ich sah Göring, Dönitz, Keitel, Ribbentrop, Speer, Jodl, Himmler, Kaltenbrunner, Krebs, Burgdorf und andere. Vor dem Lagevortrag nahm Hitler ihre Geburtstagswünsche entgegen, ließ sich aber dann sofort die neuesten Ereignisse vortragen. Danach führte Hitler Einzelgespräche. Göring erklärte Hitler, daß er in Süddeutschland noch Wichtiges zu erledigen hätte. Wahrscheinlich gelänge es nur heute noch, im Wagen durchzukommen. Er verabschiedete sich von Hitler. Ich hatte den Eindruck, daß Hitler innerlich keine Notiz mehr von Göring nahm. Es war ein unschöner Augenblick. Auch der Großadmiral verabschiedete sich von Hitler. Er erhielt von Hitler die kurze Weisung, in Norddeutschland die Führung zu übernehmen und sich für einen ehrenvollen Kampf einzusetzen. Aus Hitlers Worten war auf das große Vertrauen zu schließen, das er Dönitz entgegenbrachte. Von den anderen Anwesenden, wie Himmler, Kaltenbrunner und Ribbentrop, verabschiedete sich Hitler ohne viel Aufhebens. Ich hatte an diesem Tage den Eindruck, daß Hitler noch nicht entschlossen war, ob er Berlin verlassen oder bleiben sollte.
Es herrschte viel Unruhe in den Bunkern der Reichskanzlei, ein Zeichen, daß an einen allgemeinen Aufbruch gedacht wurde. Von unserer Adjutantur reiste Puttkamer mit zwei Unteroffizieren zum Obersalzberg, um die dort befindlichen Unterlagen zu vernichten. Ich bat ihn, meine dort aufbewahrten Tagebücher auch den Flammen zu übergeben, was er versprach und gehalten hat. Gleiches geschah mit Schmundts Aufzeichnungen. Auch Fräulein Wolf und andere Mitglieder der persönlichen Adjutantur rüsteten zur Reise.
Am späten Abend versammelten wir uns in Hitlers kleinem Wohnraum zu einem Umtrunk. Es kamen Eva Braun, Frau Christian geb. Daranowski, Frau Junge geb. Humbs, auch Hitlers Diätköchin Fräulein Manziarly sowie Schaub, Lorenz und ich. Vom Krieg sprachen wir in dieserkleinen Runde nicht. Am besten verstand es wie immer Gerda Christian, Hitler auf andere Gedanken zu bringen.
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Edgar Kupfer-Koberwitz 1906–1991
KZ Dachau
Heute ist Hitlers Geburtstag. –
Brünn soll gefallen sein, – in Berlin sollen immer noch Strassenkämpfe sein.
Himmler soll in München sein, um die Verteidigung der Stadt bis zum letzten zu leiten. – Man erwartet jetzt die Offensive auf München. – Es sind jetzt sehr viele Soldaten hier in Dachau, auch Tanks und Kanonen sollen da sein. – lch selbst sah eine Menge Soldaten, die hier ins Revier zur Untersuchung kommen, alle in anderen Uniformen. – Ein österreichischer Feldwebel sagte: «Alles Scheisse!» –
Am Nachmittag wieder Tiefflieger, welche schossen. – In der Nacht dreimal Alarm, dreimal Bombardement, – die Bomben wurden einzeln geworfen, also musste man die Ziele genau kennen. – Es war etwa in einer Entfernung von schätzungsweise fünf Kilometern. – Die Baracken erzitterten bei jedem Abwurf. – Was werden wir hier noch alles erleben? – Man sagt, dass die Bevölkerung von Dachau die Stadt bis morgen um Mitternacht verlassen und 130 Kilometer weiter südlich gehen soll. – Wieder habe ich die Zahl der Toten der letzten Zeit gehört: Dezember 1944 = 1800 Mann, – Januar 1945 = 2800 Mann, – Februar 1945 = 3000 Mann, – März 1945 = 4000 Mann. – Das ist die Zahl vom Lager Dachau, ohne Aussenkommandos, sagte man mir. – Das sind 11600 Tote in
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