Das echte Log des Phileas Fogg
gewartet, um die Erlaubnis einzuholen, einige Enfield-Gewehre und Smith & Webster-Revolver kaufen zu dürfen. Wie Verne schreibt, wollte der Franzose die Waffen beschaffen, damit sie sich verteidigen konnten, falls während der Fahrt durch den amerikanischen Mittelwesten Indianer sie überfielen. In Wirklichkeit aber dachten er und Fogg an eine Verteidigung gegen Capellaner und weniger gegen die Sioux oder Pawnies.
Und noch ein paar Schritte weiter begegnete Fogg »durch den allererstaunlichsten Zufall der Welt« niemand anderem als Mr. Fix. Der Detektiv tat höchst überrascht. Könne es wahr sein, daß er und Mr. Fogg gemeinsam den Pazifik überquert hatten, ohne sich an Bord der General Grant auch nur einmal zu sehen? Da er Mr. Fogg so großen Dank schulde, wünsche er, ihn gerne zu begleiten. Ob er mit ihm durch diese freundliche amerikanische Stadt spazieren dürfe, die in so mancherlei Beziehung angenehm den Städten der Alten Welt ähnle?
Mr. Fogg antwortete, es wäre ihm eine Ehre, und Fix begleitete die beiden. Auf der Montgomery Street gerieten sie unter eine gewaltige Menschenmenge, die bis in den letzten Winkel der Straße wogte, Parolen brüllte und schrie sowie große Plakate, Fahnen und Wimpel schwenkte.
»Hurra, Camerfield!«
»Hurra, Mandiboy!«
Mr. Fix erklärte, es handle sich um eine politische Veranstaltung, die man am besten meide. Die Amerikaner könnten Politik nicht ohne Schlägereien machen, und hier seien offensichtlich zwei Parteien gegeneinander angetreten. Mr. Fogg mag gedacht haben, daß das gleiche für England galt – und damals galt es wirklich; aber er sprach den Gedanken nicht aus. Vielmehr äußerte er aus diesem Anlaß eine seiner heute klassischen Bemerkungen.
»In der Ausübung demokratischer Rechte bekommt man nur blaue Flecken.«
Kurz darauf brach eine Prügelei aus. Die kleine britisch gesonnene Gruppe befand sich plötzlich unausweichlich zwischen den kampfeswütigen Anhängern Camerfields und den nicht minder streitsüchtigen Anhängern Mandiboys. Die meisten Kämpfer waren mit bleibewehrten Knüppeln bewaffnet oder mit Keulen, aus denen nicht wenige Nägel ragten, ein paar jedoch besaßen Revolver. Fäuste, Knüppel, Keulen, Stangen und Stiefel wurden rücksichtslos gebraucht, und oftmals auch wahllos. Die Dreiergruppe stand auf dem höchsten Absatz einer Treppe am oberen Ende der Straße, stellte jedoch rasch fest, daß dieser Zufluchtsort keine Sicherheit gewährleistete. Die Woge von Rüpeln, die aufeinander und nach allen Seiten um sich droschen, erfaßte auch die Treppe.
Fogg schützte Aouda mit den Fäusten. Ein hochgewachsener, kraftstrotzender Kerl mit rotem Gesicht und feuerrotem Bart hob die Fäuste, um sie Fogg auf den Schädel zu rammen. Fix fuhr dazwischen und fing den Hieb auf. Sein Hut knickte ein, ebenso seine Knie. Mit gläsernen Augen raffte er sich auf. Für die nächsten Tage würde er auf dem Kopf eine mächtige Beule haben.
»Yankee!« sagte Fogg und musterte den rotbärtigen Grobian geringschätzig.
»Engländer! Wir sehen uns wieder!«
»Wann Sie wollen«, erwiderte Fogg.
»Wie lautet Euer Name, edler Lord?« fragte der Amerikaner.
»Phileas Fogg. Und der Ihre?«
»Colonel Stamp W. Proctor.«
Die Lawine von Leibern wälzte sich vorüber. Fogg dankte dem Detektiv für sein beherztes und uneigennütziges Eingreifen. Keiner der beiden war ernsthaft verletzt, doch ihre Kleidung sah aus, als seien sie aus einem Zug gesprungen, der mit 80 km/h fuhr. Aouda war nicht anders davongekommen, hatte allerdings keine Blutergüsse erlitten.
Die Gruppe begab sich zu einem Schneider. Neu eingekleidet traf sie eine Stunde später im Hotel ein. Unterwegs machte Fogg sich Gedanken über den Zwischenfall mit dem Colonel. Vielleicht war er lediglich ein flegelhafter amerikanischer Bulle. Aber der Name – Stamp Proctor ( Proctor heißt zu dt. ›Anwalt‹ oder ›Sachwalter‹. Der Übers) ! Konnte er der capellanische Sachwalter für die USA sein, der amerikanische Chefagent und Bevollmächtigte? Deutete der Vorname Stamp ( Stamp out heißt zu dt. auch ›zertreten‹. Der Übers) darauf hin, daß er außerdem auf die Ermordung, die Ausmerzung von Eridanern spezialisiert war? Oder waren diese Namen reiner Zufall? Nemo hatte behauptet, die Capellaner seien von der alten Gewohnheit abgewichen, den Agenten Namen mit funktionaler Bedeutung zu verleihen. Nemo pflegte allerdings nicht selten zu lügen. Und selbst wenn er die Wahrheit gesprochen hatte, konnte
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