Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)
Kortisol des Kindes die Aktivität des Stresssystems der Mutter herunter. Das führt zu folgender Situation: Physiologisch betrachtet reagiert das Stresssystem einer werdenden Mutter träger als das einer Frau, die nicht schwanger ist. Man hat zum Beispiel bei Frauen in den letzten Wochen vor der Geburt beobachten können, dass ihr Stresssystem auf Kälte kaum noch reagiert. Normalerweise würde bei Kältestress das Kortisol im Körper der Frau in die Höhe schießen (ein Zeichen, dass das Stresssystem Gegenmaßnahmen bei drohender Unterkühlung einleitet). Da dies nicht passiert (schwangere Frauen können also den Kältereaktionen ihres Körpers nur noch eingeschränkt trauen), ist das eigentliche Ziel der Operation erreicht: der unteraktive Brain-Pull. Nur durch seine Schwäche wird ein verstärkter Body-Pull erzeugt. Wie gesagt, die Mutter wird jetzt also versuchen, mehr zu essen, um ihre Hirnversorgung aufrechtzuerhalten (Heißhungerattacken!). Von dieser vermehrten Nahrungsaufnahme profitiert – wegen der Schwangerschaftseinstellung der »Stoffwechsel-Ampel« – also der Fötus. Er bekommt das geforderte Energieplus. Aber auch das mütterliche Gehirn kann so sichergehen, trotz des Energieverbrauchs des Kindes nicht unterversorgt zu werden. Drittens gelangt ein Überschuss in die Speichergewebe der Mutter. Das ist ebenfalls ein Vorteil: Denn von den Speicherdepots, die während der Schwangerschaft angelegt werden, wird der Säugling in der Stillzeit mit Energie versorgt.
Dieses Funktionsprinzip belegt, dass hier eine Hierarchisierung der Brain-Pulls stattfindet. Anders gesagt: Die Kanban-Karte des fetalen Brain-Pulls ist stärker als die des mütterlichen. Die Plazenta stellt dabei sicher, dass die hormonelle Kanban-Karte nur in eine Richtung weitergegeben wird, nämlich nur vom Fötus zur Mutter und nicht umgekehrt. Das heißt: Das egoistische Gehirn des ungeborenen Kindes ist mächtiger als das der Mutter! Die Macht des kindlichen Brain-Pulls kann sogar so groß werden, dass die Mutter einen vorübergehenden Schwangerschafts-Diabetes entwickelt; sie nimmt so viel Nahrung auf, dass sich ihr Blutzucker drastisch erhöht, wodurch wiederum das fetale Gehirn ausreichend versorgt werden kann. Mit der Geburt des Kindes normalisieren sich die Blutzuckerwerte der Mutter aber wieder. Der Einfluss des ungeborenen Kindes auf den Stoffwechsel der Mutter geht aber noch weiter: Das Gehirn des Fötus entscheidet nicht nur über seine Energieversorgung, es bestimmt auch den Zeitpunkt der Geburt. Der entscheidende Signalgeber bei der Auslösung des Geburtsvorgangs ist dabei wiederum das Kortisol.
Die Geburt ist der letzte, abschließende Akt in der Wachstumsphase des fetalen Gehirns. Dessen Energiebedarf nimmt während der Schwangerschaft enorm zu. Je höher der Energiebedarf im Gehirn des Fötus ist, desto mehr Kortisol setzt es frei und desto mehr produziert die Plazenta CRH . Kurz vor der Geburt wird ein kritischer Punkt überschritten. Jetzt stellt der Fötus Energieforderungen, die nicht mehr erfüllt werden können, und es passiert etwas völlig Neues: Das fetale Kortisol stimuliert das Plazenta- CRH , und im Gegenzug stimuliert Plazenta- CRH das fetale Kortisol. Durch diese hormonelle Dynamik spitzt sich die Lage zu, es kommt zu einem steilen Kortisolanstieg im fetalen Blut. Mit dieser Kortisolflut verändert sich nun die Botschaft. Es wird nicht mehr Energienachschub angemahnt, der Fötus signalisiert mit dem Kortisol-Stakkato stattdessen: »Schwangerschaft beenden …«
In diesen Vorgang wird ein weiteres Hormon eingebunden: Progesteron. Der Name setzt sich zusammen aus »Pro« und »Gesteron«. Das lateinische ›Gestatio‹ heißt ›Schwangerschaft‹. Pro bedeutet ›die Schwangerschaft unterstützend‹. Dieses Hormon wird während der Schwangerschaft von der Plazenta produziert und freigesetzt. Es ist unabdingbar für den Erhalt der gesunden Schwangerschaft und wird von dort ständig an das Gehirn der Mutter gesendet. Die Botschaft des Progesterons lautet: »Es ist alles in Ordnung, Schwangerschaft läuft wie geplant.« Im Gehirn wird die Schwangerschaft koordiniert und aufrechterhalten. In diesen Informationsfluss greift das Kortisol-Stakkato des Fötus jetzt ein, was dazu führt, dass die weitere Progesteronproduktion in der Plazenta blockiert wird. Der so entstehende »Entzug« von Progesteron löst im Gehirn der Mutter die Wehentätigkeit aus, der Geburtsvorgang wird eingeleitet.
Die Erkenntnis, dass es
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