Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)
Gehirn beeinflusst uns nicht erst als erwachsenen Menschen. Schon Säuglinge, ja sogar Ungeborene besitzen ein solches diktatorisches Gehirn. So konnte es passieren, dass ein Lebewesen wie der Mensch im Laufe seiner Entwicklungsgeschichte immer unsportlicher geworden ist, aber gleichzeitig in Hinsicht auf die Energieversorgung seines Gehirns immer fitter wurde. Deutlich wird das vor allem bei extrem unterversorgten Babys. Es sind Szenen wie diese, die wir aus den Elends- und Kriegsgebieten der Welt kennen und immer wieder in den Nachrichten sehen: Ein neugeborenes Baby auf dem Arm seiner Mutter, hungrig sucht es nach Nahrung. Dabei kann es den großen, schweren Kopf kaum auf seinem ausgemergelten Körper halten. Alles Suchen ist vergebens, die Milchproduktion der Mutter ist versiegt, und Babynahrung ist für die Frau unbezahlbar. Die dramatische Ernährungskrise dieses Kindes hat nicht erst nach seiner Geburt begonnen. Die Nahrungsmittelknappheit, ausgelöst durch kriegerische Übergriffe, Armut, Dürre oder eine Naturkatastrophe, hat die Mutter bereits während der Schwangerschaft in einen akuten Energienotstand gestürzt – eine Lage, mit der auch der Fötus zurechtkommen muss. Im Mutterleib wendet sein Gehirn deshalb die gleiche Krisenstrategie an, die schon Marie Krieger bei den verhungerten Soldaten des Ersten Weltkriegs festgestellt hat: Das ungeborene Kind startet das Brain-Sparing, also das »Verschonen des Gehirns (von Mangelerscheinungen)«, wie es die klinischen Geburtshelfer nennen. Dieses Notfallprogramm stellt sicher, dass das Gehirn trotz Energieknappheit optimal versorgt wird. Gespart wird am Körper des Fötus. Das Kalkül des Gehirns ist alternativlos: Defizite in anderen Organen lassen sich vielleicht nach der Geburt durch eine hoffentlich bessere Versorgungslage ausgleichen. Entwicklungsstörungen im Gehirn können hingegen nicht wieder korrigiert werden. Mediziner nennen diese Kinder, die schon hungernd auf die Welt kommen, Small Babys. Auf uns wirken sie wie Kinder, deren Köpfe zu groß für ihren zerbrechlichen Körper sind. In Wahrheit ist es genau andersherum: Der Kopf ist der einzige Körperteil, der bei diesen Kindern Normalgröße aufweist.
Doch das Gehirn des ungeborenen Kindes kontrolliert nicht nur den Energiehaushalt seines eigenen, noch im Entstehen begriffenen Körpers – sondern auch den seiner Mutter. Der Fötus verfügt zwar über einen eigenen Blutkreislauf, dieser ist jedoch über die Plazenta an das Blutgefäßsystem der Mutter angeschlossen. Die Energieversorgung des Fötus, die überwiegend aus Glukose besteht, erfolgt über die Plazenta aus dem Blut der Mutter. Ihr Stoffwechsel versorgt während der Schwangerschaft nicht nur den eigenen Körper, sondern macht dem Kind ein Glukoseangebot. Wie dieses ausfällt, prägt entscheidend die körperliche Entwicklung des Kindes. Das Gehirn des Ungeborenen reagiert nicht nur auf Unterversorgung, sondern auch auf ein Zuviel an mütterlicher Glukose. Schon ab einem Geburtsgewicht von über 4000 Gramm sprechen Mediziner von Big Babys – also Kindern, die übergewichtig zur Welt kommen. Auch bei ihnen ist der Kopf normal entwickelt, wirkt aber kleiner, weil der Körper überdurchschnittlich groß ist. In beiden Fällen sorgt das fetale Gehirn dafür, dass es möglichst optimal wachsen kann. Die negativen Auswirkungen der Unter- bzw. Überversorgung hat der Körper zu tragen. Werdende Mütter mit Diabetes haben ein besonders hohes Risiko, Big Babys zur Welt zu bringen. In ihrem überzuckerten Blut herrscht ein Überangebot, welches das Kind zu groß werden lässt. Die übermäßige Energieversorgung durch die Mutter pusht die Energie in den Körper des Fötus.
Wenn extreme Ernährungsengpässe der Mutter beim ungeborenen Kind dazu führen, dass bei der Körperentwicklung zugunsten des Gehirns gespart wird – bedeutet dies, dass bereits der Fötus über einen eigenen Brain-Pull verfügt? Diese Frage ist mit einem eindeutigen Ja zu beantworten. Mehr als 50 Prozent der vom Fötus aufgenommenen Energie gehen in sein Gehirn. Die klinische Beobachtung zeigt, dass bereits das Gehirn eines ungeborenen Babys selbstsüchtig agiert, indem es die Energieregulation kontrolliert und zu seinen Gunsten nutzt. Es beansprucht als einzelnes Organ für seine eigene Entwicklung mehr Energie, als dem Rest des Körpers zur Verfügung steht. Sollte es zu einem Energieengpass kommen, kann der Fötus dem Gehirn der Mutter eine Art Notsignal senden. Er
Weitere Kostenlose Bücher