Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)
Magenbypass alleine da. Letztlich steht ihm zur Meinungsbildung meist nur die Auffassung des behandelnden Arztes zur Verfügung. Auf dieser Basis ist es für den Patienten nahezu unmöglich, die Entscheidung für eine Operation mit all ihren Konsequenzen einzuschätzen.
Wundermittel aus dem Labor
Doch wie lässt sich Übergewicht nachhaltig abbauen, ohne den Hirnstoffwechsel zu überlasten? Wie wäre es mit einem chemischen Mittel, um diesen Kreislauf zu durchbrechen – etwa einem Medikament, das bewirkt, dass sich das Gehirn gegen eine Gewichtsreduktion nicht wehrt? Aus Sicht der Pharmaindustrie wäre ein derartiges Präparat so etwas wie die Lizenz zum Gelddrucken. Entsprechend intensiv wird in den Forschungsabteilungen der großen Pharmafirmen nach einer solchen Substanz gesucht. Schon einige Male glaubte man fündig geworden zu sein. Interessanterweise waren die vielversprechendsten Abnehmwirkstoffe Zufallsentdeckungen aus neurowissenschaftlichen Forschungsprojekten. Es handelte sich um Mittel, die eigentlich zur Behandlung des kranken Gehirns erforscht worden waren – sogenannte Psychopharmaka.
Rimonabant ist ein Psychopharmakon, das ursprünglich zur Raucherentwöhnung entwickelt worden war. Im Verlauf der klinischen Untersuchungen an Probanden stellten die Forscher fest, dass Testpatienten, die das Präparat nahmen, an Gewicht verloren. In der Analyse stellte sich heraus, dass das Medikament eine Brain-Pull-Überaktivität unterstützt. Unter Einfluss des Präparats gelingt es dem Brain-Pull, mehr Energie aus den Körperreserven zu mobilisieren und so den Einfluss des Body-Pulls zurückzudrängen. Dieser Effekt machte Rimonabant zu einem heißen Kandidaten für das lange gesuchte Abnehmwundermittel, und es wurde zugelassen.
Doch wie wir gesehen haben, sind die Vorgänge, mit denen Gehirn und Körper ihre Energieversorgung regulieren, komplex, und jeder Eingriff hat Folgen. Schauen wir uns das genauer an: Das Stresssystem strebt immer wieder zurück in seine Ruhelage. Kurzfristig ist Kortisol das alleinige Hormon, das die Rückstellung bewirken soll.
Es gibt darüber hinaus aber noch einen zweiten Rückstellungsmechanismus, bei dem ein helfender Partner dem Kortisol bei seiner Arbeit zur Seite steht. Dabei handelt es sich um den langfristigen Reset des Stresssystems, der besonders bei chronischem Stress und bei immer wiederkehrendem Stress lindernd wirkt. In diesem Prozess spielen die sogenannten Endocannabinoide – körpereigene, cannabisähnliche Neurobotenstoffe – als Partner des Kortisols eine entscheidende Rolle. Diese Neurobotenstoffe wirken sehr beruhigend und entspannend. Genau an dieser Stelle greift Rimonabant ein: Es blockt die langfristige Reset-Funktion des Stresssystems, sprich des Brain-Pulls, und verhindert damit die ruhigstellende Anpassung an Dauerstress oder wiederkehrenden Akut-Stress. So bleiben das Stresssystem und damit der Brain-Pull anhaltend überaktiv. Das Medikament bewirkt also eine ständig erhöhte Energieanforderung des Gehirns aus dem Körper. Die Patienten wurden schlanker, standen aber Tag und Nacht »unter Strom«. Schlafstörungen waren noch der geringste unerwünschte Effekt. Schlimmer: Patienten, die Rimonabant einnahmen, konnten sich von emotional verknüpften Erinnerungen überhaupt nicht mehr lösen oder distanzieren. Problematisch waren vor allem stress- und angstbesetzte Erlebnisse, die nicht mehr verarbeitet werden konnten. Eine gesunde Psyche kann solche Erlebnisse bearbeiten, einordnen und ablegen, um wieder zu einem ausgeglichenen Zustand zurückzukehren. Doch unter Einnahme des Präparates führten Stressreaktionen und Ängste zu einem enormen Leidensdruck der Patienten. Als sich schwere Depressionen bis hin zu Selbsttötungen häuften, wurde das Präparat vom Markt genommen.
Ein weiteres Psychopharmakon, das Adipositas-Forscher zunächst begeisterte, war Topiramat. Ursprünglich war es zur Behandlung von Epilepsie (Krampfleiden) entwickelt worden und wird auch heute noch bei dieser Indikation zur Behandlung eingesetzt. Dann stellte man fest, dass Menschen, die Topiramat nahmen, auch an Gewicht verloren. Die Nebenwirkung wurde zur neuen Behandlungsstrategie erklärt – das Antiepileptikum sollte sich als Abnehmpille beweisen. Doch auch in diesem Fall kam es zu Komplikationen, die in keinem Verhältnis zum erwünschten Abnehmeffekt standen. Topiramat nahm so massive Einsparungen im Hirn-Energiehaushalt vor, dass es zu schweren kognitiven Störungen
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