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Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)

Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)

Titel: Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Peters
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aufnehmen und wird dadurch abnehmen. Das klingt umso verlockender, je höher der Leidensdruck ist. Doch neben den Operationsrisiken birgt der Eingriff eine weitere Gefahr: Er ist kaum rückgängig zu machen, falls der Patient feststellt, dass das Ergebnis der Operation nicht seinen Erwartungen entspricht. Weil das Gehirn mit der reduzierten Kalorienzufuhr nicht zurechtkommt und das Stresssystem sich nicht mehr durch Nahrung in die Ruhelage bringen lässt.
    Betrachtet man die Lieferkette des Gehirns, so wird klar, dass eine Begrenzung der Zufuhr von Nahrungsenergie durch eine verordnete oder selbstauferlegte Diät oder durch Magenschlingen oder einen Magenbypass den Hirnstoffwechsel belastet: Der Energiefüllstand des Gehirns droht zu sinken, und der bereits inkompetente Brain-Pull wird zusätzlich belastet. Die ohnehin bei adipösen Menschen vergrößerte allostatische Last vervielfacht sich. Das Stresssystem ist jetzt weiter von seiner Ruhelage entfernt als je zuvor. Wie kürzlich von einem italienischen Forscherteam nachgewiesen, stieg der Kortisolwert enorm an, nachdem die Studienteilnehmer sich einem solchen chirurgischen Eingriff unterzogen hatten. Dem Gehirn bleibt nun als einzige Option, auf Sparmodus umzuschalten. Wir wissen, was das für den Betroffenen bedeutet: Nach und nach werden Systeme wie die Konzentrationsfähigkeit, Informationsverarbeitung, der Bewegungsdrang heruntergefahren. Wäre es möglich, dass das Risiko von Unfällen und Depressionen als Folge eines Versorgungsengpasses des Gehirns ansteigt? Ist »Mehressen« eine Notfalllösung des Gehirns, so muss ein Patient mit Magenbypass nach einer anderen Quelle suchen, um seine Gehirnversorgung zu sichern. Was passiert aber, wenn eine alternative Versorgungsstrategie ausbleibt? Gibt es dann überhaupt noch Auswege? Denn das Drama eines magenoperierten Patienten besteht genau darin, dass er nicht wie bei einer Diät seinen alten Ernährungszustand wiederherstellen kann – mehr essen führt bei ihm nicht automatisch zu mehr Energie im Gehirn. Weil die Versorgungswege begrenzt wurden, sitzt das Gehirn in einer Falle, vergleichbar mit einer belagerten Stadt, deren Bevölkerung die Vorräte ausgehen und die nur noch wenig Nachschub von außen erhält.
    Epidemiologen aus Pittsburgh wollten wissen, wie groß der Einfluss einer derartigen Begrenzung der Nahrungszufuhr auf die Sterblichkeit sein kann. Die wissenschaftliche Auswertung von Patientendaten aus dem gesamten US -Bundesstaat Pennsylvania erhärten einen alarmierenden Verdacht: Nach Magenbypass-Operationen kam es besonders häufig zu Todesfällen durch Suizide oder Unfälle. Die Suizidrate der Patienten war in dieser Studie im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt sogar um das bis zu Neunfache erhöht. Eine andere Forschungsarbeit aus dem US -Bundesstaat Utah berichtet ebenfalls über vermehrte Suizide in einer mit Magenbypass operierten Patientengruppe. Ein wissenschaftlicher Beweis, dass derartige Operationen tatsächlich das Risiko der Selbsttötung erhöhen, ist bisher allerdings nicht erbracht. Die beiden Studien zeigen aber dennoch ernstzunehmende Verdachtsmomente auf.
    In dieser unklaren Faktenlage liegt eine besondere Problematik derartiger Operationsmethoden. Im Gegensatz zur Zulassung von Medikamenten gibt es für operative Eingriffe keine vergleichbaren Prüf-Verfahren (für Medikamentenzulassungen sind Studien mit höchstem Qualitätsstandard vorgeschrieben). Dennoch verweisen die Befürworter der Adipositas-Chirurgie auf positive Ergebnisse. Sie berufen sich dabei allerdings auf Studien, die nicht höchstem wissenschaftlichem Standard entsprechen. Wie beim Guru-Effekt in den Diätstudien, kann nicht ausgeschlossen werden, dass es die begleitenden Maßnahmen sind (Magenbypass-Patienten werden immer von einem Psychiater vor und nach der OP untersucht und betreut), die zumindest im untersuchten Zeitraum einen positiven Effekt ausüben. Hier besteht dringender Forschungsbedarf. Unbestritten ist, dass für eine neue Operationsmethode hochqualitative Patientenstudien, die deren Wirksamkeit nachweisen müssen, ebenso wenig vorgeschrieben sind wie der Nachweis einer Unbedenklichkeit in Bezug auf gravierende Nebenwirkungen. Diese Zulassungspraxis gilt in allen Industrienationen, also auch in Deutschland. Während der Patient bei einem neuen Medikament darauf vertrauen darf, dass mögliche Risiken vor der Einführung abgeklärt und eingegrenzt wurden, steht er bei einem Verfahren wie dem

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