Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)
war von Belohnungsgefühlen durch Endorphine die Rede, von einem neuen, besseren Körpergefühl, das sich nicht einstellen will.
Erstaunlicherweise wurde die Stimmungslage bei Kalorienreduzierung bisher kaum wissenschaftlich untersucht. Worauf stützt sich also die Einschätzung von Carolines Ernährungsberater, dass Abnehmen mit Glücksgefühlen belohnt wird? Möglicherweise auf eigene Gruppenerfahrungen. Es gibt tatsächlich einige Studien, die aufzeigen, dass sich bei Probanden während einer Diät solche positiven Gefühle einstellen können. Bei näherer Betrachtung hält das Design dieser Studien strengen wissenschaftlichen Anforderungen jedoch nicht stand. Es fehlen die bei klinischen Studien üblichen Kontrollgruppen – das könnten Probandengruppen sein, die die gleichen Untersuchungen und begleitenden Anwendungen (zum Beispiel das Erlernen von Entspannungstechniken oder Gespräche mit einem psychologisch geschulten Therapeuten) erhalten, ohne eine kalorienreduzierte Diät zu machen. Fehlt diese Kontrollebene, ist nicht auszuschließen, dass es sich bei den Glücksgefühlen der Probanden um einen »Guru-Effekt« handelt. So könnte man den positiven Einfluss eines möglicherweise charismatischen Studienleiters auf die Testteilnehmer bezeichnen. Es wäre in diesem Fall also die intensive Aufmerksamkeit, der Zuspruch, welche Glücksgefühle auslösen, und nicht das Abnehmen selbst.
Zweifel an der Glücksgefühl-Idee sind also berechtigt. Nicht zuletzt auch deshalb, weil eine kanadische Studie ein ganz anderes Bild zeigt. Der Adipositasforscher Angelo Tremblay von der Laval Universität in Quebec begleitete eine Gruppe von stark übergewichtigen Männern ( BMI 30 bis 40) bei einer strengen Kalorienreduktionsdiät mit dem Ziel, 11 Kilogramm Körpergewicht zu verlieren. Tremblay stellte bei den Probanden fest, dass sich ihre Stimmungslage im Verlauf der Diät dramatisch verschlechterte. Gegen Ende kreisten ihre Gedanken nur noch ums Essen, und sie zeigten vermehrt depressive Symptome. Tremblays Beobachtungen geben uns neue Einblicke in die psychischen Effekte von Kalorienentzug. Wir wissen, dass erhöhtes Kortisol ein deutliches Zeichen für ein aktives, möglicherweise sogar überaktives Stresssystem ist. Wir haben gelernt, dass Nahrungsentzug Kortisol dauerhaft erhöhen kann. Dazu fügt sich an dieser Stelle die Erkenntnis, dass hohe Kortisolwerte in der Psychiatrie ebenfalls eine gewichtige Rolle spielen. Sie sind neben negativen Gedanken, schlechter Stimmung, Angst und Schlaflosigkeit ein Kernmerkmal von typischer Depression. Es wundert also nicht, dass Gewichtsabnahme auch zu den Leitsymptomen dieses Krankheitsbildes zählt.
Noch sind die genauen Zusammenhänge zwischen Diäten und Depressionen nicht geklärt, aber es wird immer deutlicher, dass eine Kalorienreduzierung einen immens belastenden Einfluss auf den Stoffwechsel des Gehirns und somit auch auf die psychische Verfassung eines Menschen haben kann. Das Gehirn wertet Nahrungsverknappung als Bedrohung, und davon lässt es sich auch durch noch so gut gemeinte Vorsätze und Willensanstrengungen nicht abbringen. Menschen, die bedroht werden oder sich bedroht fühlen, verändern meist ihr Verhalten. Sie werden ängstlicher, vorsichtiger, aggressiver. Dem Gehirn, das sich von Energieverknappung bedroht sieht, geht es ähnlich. Das erklärt, warum Diäten – zumindest vorübergehend – sogar zu »Persönlichkeitsveränderungen« führen können. Diese Entfremdung ist ein starkes Druckmittel, welches das Gehirn gegen den Abnehmwunsch einsetzt. Der Handel lautet in etwa: Gib mir wieder mehr zu essen, dann gebe ich dir dein gewohntes Ich zurück …
Schlank durch eine Operation?
Was passiert aber, wenn sich der Handel nicht so einfach rückgängig machen lässt? Stark übergewichtigen Patienten bietet die Adipositas-Chirurgie eine Alternative zur Diät an: einen Eingriff, bei dem der Verdauungstrakt verkleinert wird. Es gibt verschiedene Operationsverfahren, eines davon ist der Magenbypass. Dabei wird ein Teil des Magens und des oberen Dünndarms praktisch stillgelegt. Über einen Bypass wird der Vorderteil des Magens mit dem Rest des Darmtraktes verbunden. Diese Verkleinerung des Verdauungsweges führt dazu, dass einerseits weniger Nahrung aufgenommen werden kann (künstlicher Engpass) und andererseits weniger Energie aus dem Darm ins Blut gelangt (Verkürzung der funktionsfähigen Darmlänge). Der Patient kann so nur noch eine begrenzte Menge Energie
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