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Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)

Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)

Titel: Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Peters
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kam. Kognition bezeichnet die Fähigkeit des Gehirns, Informationen aufzunehmen, zu erkennen und zu verarbeiten. Die Testpatienten konnten sich kaum noch etwas merken, die Gedächtnisleistungen ließen dramatisch nach. Außerdem waren sie schläfrig und hatten Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Die Persönlichkeit der Testpatienten, die das Medikament einnahmen, war nicht mehr die gleiche wie zuvor. Im Januar 2008 schlug die US -amerikanische Food and Drug Administration Alarm. Diese wichtigste Arzneimittelzulassungsbehörde der USA warnte vor allem vor dem Auftreten von Suizidgedanken unter der Behandlung mit Topiramat. Das Medikament wurde als Abnehmmedikament gar nicht erst zugelassen. Heute weiß man, dass Patienten mit Topiramat ein dreifaches Risiko haben, eine Depression zu entwickeln. Im Jahr 2010 wurde ein zweiter Antrag auf Zulassung von Topiramat als Abnehmmedikament gestellt. Auch dieser wurde zurückgewiesen.
    Kann es überhaupt so eine Wunderpille geben, die das Abnehmen zum Kinderspiel macht? Die hier aufgeführten Fälle sind krasse Beispiele für das Scheitern der Pharmazie. Und die Liste der Substanzen, von denen man sich viel erhoffte und die dennoch enttäuschten, ist noch lange nicht zu Ende. Diese Ernüchterung gilt indes nicht nur für Medikamente. Abnehmprogramme – egal ob diätetisch, chirurgisch oder medikamentös – gehören zu den »Kuren«, die mehr Schaden als Nutzen bringen, weil sie die komplexe Selbstregulation des menschlichen Organismus ignorieren. Derartige Eingriffe stellen das Gehirn lediglich vor neue Probleme. Denn durch seine große Wandlungsfähigkeit schützt sich das überforderte Gehirn vor Depression, indem es auf Verhaltensweisen wie viel essen, Süßes essen, wach sein, Körperschonung und die Suche nach neuen Versorgungsstrategien ausweicht. Berauben wir das Gehirn dieser Möglichkeiten des Handelns, stürzen wir es unweigerlich in eine noch größere Krise.
    Kehren wir noch einmal zu Dante zurück, in jene mittelalterliche Welt, die Übergewicht mit der Todsünde der Völlerei gleichsetzte und dicke Menschen des »hedonistischen«, also auf reinen Lustgewinn abzielenden Verhaltens bezichtigte. Die damit einhergehenden Schuldzuweisungen leben bis heute in verschiedenen Abwandlungen fort – vom Diktat der Schlankheitsideale bis hin zur Spottlust übergewichtigen Menschen gegenüber. Das allein ist schlimm genug. Noch beunruhigender ist aber, dass sich die alte Anklage neuerdings auch im Gewand einer modernen neurobiologischen Forschungsrichtung zeigt.
    Nach der Entdeckung des Leptins in den 1990er Jahren war immer klarer geworden, dass Jean Mayers theoretischer Grundgedanke von der Nahrungsaufnahme, die »homöostatisch« vom Energiefüllstand im Körper reguliert wird, durch die vorhandenen experimentellen Daten nicht hinreichend erklärt werden konnte. Um einen drohenden Erklärungsnotstand im Keim zu ersticken, kam das alte hedonistische Prinzip gerade recht. Das hatten Physiologen eigentlich bereits in den 1950er Jahren verworfen, und auch Mayer war angetreten, um dieses Gespenst zu verjagen. Jetzt aber feiert der Gedanke, dass übergewichtige Menschen aus purer Lust am Essen immer dicker werden, eine wissenschaftliche Wiederauferstehung. Schließlich liefert diese Vorstellung eine simple Erklärung dafür, warum Menschen mit Übergewicht trotz ihrer vollen Fettspeicher essen und Diabeteskranke trotz ihres hohen Blutzuckers das Gleiche tun – sie sind schlicht Saboteure. Sie unterminieren durch ihre »Fresslust« das homöostatische System der Nahrungsregulierung. Dass es sich beim »hedonisch« angetriebenen Appetit eigentlich nur um eine unzureichende wissenschaftliche Hilfsannahme handelt, wird allein schon dadurch deutlich, dass sie keine plausible Erklärung von experimentellen Daten wie jenen von Marie Krieger zu geben vermag. Trotzdem hat dieses jahrhundertealte Erklärungsmodell offenkundig nichts von seiner Verführungskraft eingebüßt. Es teilt die Welt noch immer in Gerechte und Sünder – in diesem Fall in Schlanke und Übergewichtige oder in Patienten mit Gewichtsproblemen und Experten, die ihnen erklären, mit welcher Methode sie sich am besten von ihrem Ballast befreien. Die Instanzen, die dieses Prinzip von Gut und Böse stützen, sind heute so mächtig wie einst. Im Mittelalter war es die Kirche, heute wird im Namen der Forschung geurteilt: zum Beispiel mit dem Versuch, die Lust am Essen mit dem Nachweis überaktiver »hedonic hot

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