Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)
spots« im Gehirn zu belegen. In einer kürzlich erschienenen Publikation zur Entstehung von Übergewicht stellte ein Forscherteam der psychologischen Abteilung der University of Michigan sogar die wissenschaftliche These auf, dass das Gehirn nach Essen verlangt, weil es in Versuchung geführt wird (»the tempted brain eats«).
Veröffentlichungen wie diese machen deutlich, was uns bis heute fehlt: ein tieferes Verständnis für die Erkenntnis, dass unsere äußere Erscheinung Ausdruck unserer zerebral-metabolischen und emotionalen (Stresssystem-)Homöostase ist. Wer schlank ist, hat Glück. Wer übergewichtig ist, leidet an einer Störung der Energiebeschaffung seines Gehirns. Diese wichtige Erkenntnis befreit alle übergewichtigen Menschen von zugewiesener und gefühlter Schuld!
Und wer sich selbst als zu dick empfindet, dem fällt es schwer, sein Neutralgewicht zu akzeptieren. Dann entsteht der Wunsch abzunehmen, eine Sehnsucht nach Verwandlung – in ein jüngeres, schlankeres Selbst. Wir wissen, dass Diäten uns Verzicht und Disziplin abverlangen und dass ihr Scheitern unsere Stimmung und Zuversicht trüben wird. Doch der wahre Preis ist viel höher. Denn das metabolische und das emotionale System unseres Körpers sind so miteinander verwoben, so komplex und anpassungsfähig, dass der Eingriff an einer Stelle in etwa so wirkt, als wolle man einen laufenden Motor zum Stillstand bringen, indem man einen Schraubenschlüssel hineinwirft. Der erwünschte Effekt wird zwar eintreten, aber das Risiko, von umherfliegenden Teilen verletzt zu werden, ist extrem hoch, und die Maßnahme führt mit großer Wahrscheinlichkeit zu schwerwiegenden Folgen für die Funktionsfähigkeit des Motors.
Was aber sind die Alternativen? Stellen wir uns für einen Augenblick die Situation eines Menschen, der unter seinem Übergewicht leidet, als ein Labyrinth vor, dem er unbedingt entkommen möchte. Er folgt unzähligen Wegen, nur um festzustellen, dass sie in die Irre führen und ihn am Ende wieder zum Ausgangspunkt zurückbringen – jedes Mal noch resignierter. Wie bei jedem Irrgarten gibt es nur einen Weg, der hinausführt. Um ihn zu finden und beschreiten zu können, braucht man einen Verbündeten. Statt unseren Brain-Pull zu überlasten oder gar zu überlisten, wäre es hilfreich, zunächst die Gründe für seine Schwächung aufzudecken, sie dann aus unserem Leben zu verbannen oder zu lernen, besser mit ihnen umzugehen. Das Ziel wäre eine Stärkung des Brain-Pulls, und das würde auch bedeuten, dass der Körper zu einem neuen, leichteren Neutralgewicht findet. Die Suche nach dem verlorenen Gleichgewicht ist aber kein leichtes Unterfangen, und ihr Ausgang ist ungewiss. Abnehmgarantien gibt es nicht. Einfach schlank zu werden und zu bleiben ist ein Versprechen, das sich nicht halten lässt. Es ist an der Zeit, diese schmerzliche Wahrheit zu akzeptieren.
Und wir müssen uns aufmachen, die wahren Gründe für Übergewicht aufzuspüren. Dazu erfahren wir mehr im nun folgenden dritten Teil dieses Buches. Wenn wir aber die wahren Ursachen nicht kurieren oder kurieren können, dann ist es sicher besser, mit den Einschränkungen eines erhöhten Neutralgewichts zu leben, als die Brechstange anzusetzen. Der Dichter Marcel Proust, der in einer Medizinerfamilie groß geworden ist, hat das Dilemma bereits vor über hundert Jahren treffend formuliert: »Es gibt Leiden, von denen man die Menschen nicht heilen soll, weil sie der einzige Schutz gegen weit ernstere sind.«
TEIL III
Die wahren Ursachen von Übergewicht und
Diabetes – Vorbeugung und Auswege
Das defekte Gedächtnis-Gen
Es käme wohl niemand auf die Idee, einem Gärtner vorzuwerfen, dass er zum Gießen der Blumen in Zeiten langanhaltender Trockenheit mehr Wasser verbraucht als in einem regenreichen Jahr. Ebenso wäre es unsinnig, während einer klirrend kalten Frostperiode einen Heizungsmonteur zu bestellen, damit er das Problem der Mehrkosten durch die auf Hochtouren laufende Heizungsanlage in den Griff bekommt. In beiden Fällen ist offensichtlich, dass der Mehrbedarf an Wasser beziehungsweise Heizenergie besonderen Umständen geschuldet ist. Während dies niemand bestreiten wird, scheitern wir als Gesellschaft an einer im Grunde einfachen Transferleistung: Die Vorstellung, dass sich auch Menschen in so einer angespannten, krisenhaften Situation befinden könnten, weil es in ihrem Energiestoffwechsel zu Versorgungsengpässen kommt, erscheint uns abwegig. Ihnen machen wir
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