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Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)

Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)

Titel: Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Peters
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in das Stresssystem eingreift. Die Rezeptoren können nämlich zwischen körpereigenem Kortisol und zugeführtem Kortison nicht unterscheiden und reagieren auf beide. Durch das Störfeuer des Kortisons wird die Flexibilität des Stresssystems stark eingeschränkt, der Brain-Pull wird schwach. Immer wenn der Brain-Pull schwach ist, bleibt dem Gehirn nur eine Alternative: mehr Energie bestellen, also mehr essen. Deshalb gehört Übergewicht zu den typischen Nebenwirkungen einer anhaltenden Kortisonbehandlung. Immerhin aber kann das Gehirn im Fall von Kortison sein Energieproblem durch zusätzliche Nahrungsaufnahmen lösen. Es gibt aber Falschsignale, die dem Gehirn keine Handlungsalternative lassen.
    Sulfonylharnstoffe – die gefälschte Energie

    Es ist die klassische Krankengeschichte älterer Menschen: Eine achtzigjährige Patientin wird mit Oberschenkelhalsbruch in die Notaufnahme eingeliefert. Sie ist nicht ansprechbar, liegt im Koma. Schnell wird deutlich, dass das Koma nicht Folge der Verletzung, sondern ihr Auslöser war. Die Frau hat Typ-2-Diabetes. Sie erlitt eine massive Unterzuckerung, verlor das Bewusstsein (Global Silencing), stürzte und zog sich dabei die Fraktur zu. Ihre Glukosewerte im Blut sind dramatisch niedrig und bleiben es auch, obwohl der Patientin auf der Intensivstation große Mengen Glukose intravenös zugeführt werden. So gelingt es den behandelnden Intensivärzten zwar umgehend, die alte Dame aus dem neuroglukopenischen Koma (verursacht durch den Glukosemangel) zu holen – aber es dauert dennoch drei Tage, bis sich ihre Blutglukosewerte wieder stabilisiert haben. Bei einer derartigen Zufuhr von Glukose hätten die Werte eigentlich in wenigen Minuten ansteigen müssen. Es hat also den Anschein, als würde die Glukose aus dem Blut die Hirnzellen überhaupt nicht mehr erreichen. Den behandelnden Intensivmedizinern wurde schnell klar, dass die Patientin von ihrem Arzt Tabletten zur Regulierung ihres erhöhten Blutzuckerspiegels erhalten hatte – sogenannte Sulfonylharnstoffe. Dieser Wirkstoff wird häufig als Alternative zu einer Insulinbehandlung eingesetzt. Wie beim Insulin besteht das Ziel dieses Behandlungskonzeptes darin, den Blutzucker zu senken. Sulfonylharnstoff wirkt direkt an den Energiesensoren im menschlichen Organismus, vor allem an den Sensoren der Neuronen im Gehirn, welche die verfügbare ATP -Menge messen (zur Erinnerung: ATP sind aufbereitete Energieeinheiten, die jedes Neuron benötigt, um arbeiten zu können). Sulfonylharnstoff täuscht im Neuron einen hohen ATP -Füllstand vor, auch wenn dies gar nicht der Fall ist. So werden die Neuronen und das Brain-Pull-Zentrum im Unklaren gelassen, ob genügend Energie vorhanden ist oder nicht. Gibt es keine Bedarfsmeldungen der Neuronen, springt der Brain-Pull auch nicht an. Die Körperspeicher bleiben trotz Energiekrise im Gehirn geöffnet, Glukose wandert ins Fettgewebe und der Blutzuckerwert sinkt – das ist ja auch das eigentliche Ziel dieser Behandlungsform. Üblicherweise würde bei einem schwachen Brain-Pull jetzt der Body-Pull aktiviert werden, um einen inneren Schrei nach Nahrung auszustoßen. Es verwundert daher nicht, dass die Dame über die fünf Jahre, die sie die Sulfonylharnstoff-Tabletten schon einnimmt, einige Kilo zugenommen hat. Doch jetzt bleibt ihr Body-Pull offenbar unbeantwortet. Vielleicht sinkt der Energiefüllstand in den Nervenzellen so rasch ab, dass ihr für Gegenmaßnahmen wie Essen keine Zeit bleibt. Noch immer signalisieren die Neuronen, dass sie voller ATP stecken, obwohl ihr Tank fast leer ist und sie nur noch auf Reserve laufen. Plötzlich kann das Gehirn zur Neuroprotektion nur noch die Notbremse ziehen. Jeder weitere Energieverbrauch durch Arbeit würde dazu führen, dass sich die Nervenzellen des Gehirns selbst zerstören wie Motoren, deren Kolben sich festfressen, weil sie nicht mehr ausreichend mit Öl versorgt werden. Die letzten ATP -Reste verwenden die Neuronen, um ihre Zellwände zu stabilisieren, dann schalten sie sich ab. Das Gehirn fällt ins Koma. Ungeachtet dieser Komplikationen im Hirnstoffwechsel diskutieren Mediziner bereits seit den 1970er Jahren über die Frage, ob die Behandlung mit Sulfonylharnstoffen nicht zu schwerwiegenden Komplikationen am Herzen führt und ob sie daher überhaupt sicher ist.
    Antidepressiva – die trügerische Besänftigung

    Wenn wir ein Kind trösten, legen wir ihm besänftigend die Hand auf die Schulter, streicheln es oder nehmen es in den Arm.

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