Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)
Diese körperliche Zuwendung wirkt fast immer. Zärtliche, liebevolle Berührungen werden vom Nervensystem direkt in den Hirnstamm geleitet und dort in Serotonin übersetzt. Dieser Nervenbotenstoff – oft fälschlich als Glückshormon bezeichnet – hat die Funktion, beruhigend zu wirken. Serotonin ist also die Trostwährung in unserem Gehirn, und wenn wir uns getröstet fühlen, sollen alle Teile des Gehirns davon erfahren.
Es ist also wenig verwunderlich, dass sich die pharmazeutische Forschung seit langem für Serotonin interessiert. Sich untröstlich, niedergeschlagen, antriebslos und unglücklich zu fühlen sind Symptome einer der großen Erkrankungen unserer Zeit. Und so entwickelte die Pharmaforschung Medikamente zur Behandlung von Depressionen, die in den Serotoninhaushalt des Gehirns eingreifen. Sie gehören zur Gruppe der Serotoninwiederaufnahmehemmer – ein Wortungetüm, das aber ziemlich genau beschreibt, wie das Medikament wirkt. Denn die frohe Botschaft des Serotonins ist flüchtig, sie wird von ihrer Wirkstätte, dem Synapsenspalt, normalerweise schnell entfernt. Statt nun künstliches Serotonin ins Gehirn zu schleusen, gehen diese Mittel deshalb einen anderen Weg: Sie verzögern den Abtransport von Serotonin, indem sie die Transporter hemmen, die den Botenstoff wieder in die Nervenzelle überführen sollen. So bleibt das Serotonin länger aktiv im Gehirn und wirkt stimmungsaufhellend.
Der pharmazeutischen Industrie kommt die Auffassung, dass Depression ein Serotoninmangelzustand sei, nicht ungelegen. Hirnphysiologisch betrachtet ist die Wortwahl jedoch unglücklich, denn sie lässt den Eindruck entstehen, dass es sich bei einer depressiven Erkrankung lediglich um ein Produktionsproblem eines Stoffes im Gehirn handelt. Diese Sicht ist problematisch, weil sie eine mögliche tiefere Ursache außer Acht lässt. Warum sind wir traurig und niedergeschlagen? Gefühle sind wichtige Botschaften unserer Psyche an uns. Serotoninpräparate, wenn sie auch unbestritten ihre therapeutische Bedeutung in besonderen Situationen haben, unterdrücken diese Hinweise auf die zugrunde liegenden Stressoren und geben stattdessen das trügerische Signal, dass es um uns bestens steht. Das hebt zwar vorübergehend die Stimmung, verstellt uns aber auch den Zugang zum ursächlichen Problem.
Darüber hinaus können Antidepressiva als eine Quelle besonders starker Falschsignale betrachtet werden. Serotoninwiederaufnahmehemmer und auch andere Antidepressiva bezeichnet man in der Pharmakologie daher auch als »dirty drugs«, schmutzige Substanzen. Schmutzig deshalb, weil niemand weiß, wo überall im Gehirn sie ihre Wirkung und vielfältigen Nebenwirkungen entfalten. Manche schwächen den Brain-Pull und machen die Patienten dick, andere bewirken genau das Gegenteil. Eines ist aber gewiss: Serotoninwiederaufnahmehemmer greifen massiv in das Stresssystem, den Stoffwechsel und die Energieverwaltung des Gehirns ein.
Opioide – eine Belohnung ohne Grund
Warum sind wir Menschen so versessen auf Erfolge? Warum sehnen wir uns nach Anerkennung und Lob? Warum beschreiben Fußballspieler ihre Emotionen als unbeschreibliches Glücksgefühl, nachdem sie ein wichtiges Tor erzielt haben? Die Antwortet lautet: Erfolgserlebnisse sind reines Opium.
Opioide wie Morphium sind nicht nur sehr wirksame Schmerzmittel in der Medizin und die Grundlage von süchtig machenden Drogen, sondern sie werden auch in unserem Körper produziert. Gemeint sind die Endorphine, jene glücksbringenden Substanzen, die das Gehirn an sich selbst abgeben kann, mit deren Ausschüttung es aber geizt. Ein Endorphinstoß erfolgt als eine Art Belohnung für etwas, was uns besonders gut gelungen ist und dessen wir uns im Vorhinein nicht sicher sein konnten. Das kann die Fertigstellung einer künstlerischen Arbeit sein, ein Sieg im Sport oder ein Geschäft, das wir erfolgreich zum Abschluss gebracht haben.
Interessanterweise ist die Endorphinausschüttung aber noch mehr als nur die Anerkennungsprämie für gute Leistung: Sie begleitet darüber hinaus den Vorgang, Fähigkeiten abzuspeichern, die zum Erfolg geführt haben. Ausgelöst wird sie durch einen anderen Botenstoff, welcher unmittelbar zuvor freigesetzt wird: das Dopamin. Erreicht dieser Botenstoff an einer Synapse hohe Konzentrationen, so begünstigt er hier die Synapsenprogrammierung auf Langzeitlernen ( LTP ). Was wir unter Dopamineinfluss erleben, wird von unserem Gehirn als wiederholungswürdiger Erfolg bewertet
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