Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)
und brennt sich uns ein.
Von außen zugeführte Opioide wie Morphium oder Heroin docken ebenfalls an den Endorphinrezeptoren an und lösen dadurch auch ein Belohnungsgefühl aus, aber es findet natürlich parallel kein lohnender Lernprozess statt. Man hat ja auch nichts geleistet, sondern lediglich eine Droge eingenommen.
Es gibt noch weitere Auswirkungen, die bisher kaum beachtet wurden. Die Falschsignale, die durch die Einnahme von Morphium (oder Heroin) ausgelöst werden, schwächen auch den Brain-Pull, denn Opioide hemmen das Stresszentrum. Bekanntermaßen entwickeln Heroinabhängige daher unter der direkten Einwirkung der Droge Heißhunger auf Süßes.
Opioide können das Stresssystem aber im Extremfall auch so außer Kraft setzen, dass es zu einer lebensbedrohlichen Situation kommt. In der Zeit, als ich noch Oberarzt war, wurde ein 64-jähriger Patient in die Notaufnahme der Universitätsklinik eingeliefert. Sein Kreislauf stand kurz vor dem Zusammenbruch, sein Bewusstsein war getrübt. Die Blutanalyse zeigte eine außergewöhnliche Anomalie: Der Kortisolwert des Patienten war fast bei null. Das Stresssystem war kurz davor, seine Arbeit einzustellen, denn eine minimale Konzentration von Kortisol ist für die Aufrechterhaltung des Stresssystems in seiner Ruhelage unabdingbar. Für diese Aufrechterhaltung ist, wie wir zuvor erfahren haben, der empfindliche Kortisolrezeptor ( MR ) verantwortlich. Das bedeutet unter anderem auch, dass der Brain-Pull nicht mehr arbeiten kann – es drohte also eine akute Energieunterversorgung des Gehirns. Das war der Grund, warum der Mann nicht ansprechbar war. Zunächst retteten wir den Patienten dadurch, dass wir ihm sein fehlendes Kortisol mit Infusionen, später in Tablettenform ersetzten. Die Ursache der ungewöhnlich niedrigen Kortisolwerte war zunächst unklar – bis sich herausstellte, dass der Patient wegen eines chronischen, sehr schmerzhaften Rückenleidens seit geraumer Zeit Opiumpflaster trug. Diese Pflaster geben das Schmerzmittel über die Haut ins Blut ab. Bei der Visite entschied ich, probeweise das Pflaster zu entfernen. Für den Patienten keine leichte Sache, weil die Schmerzen zurückkamen. Die Diagnose stellte sich als richtig heraus: Bereits einen Tag später stieg der Kortisolwert wieder auf normales Niveau. Der Brain-Pull und die Energieversorgung des Gehirns funktionierten wieder. Von den Opioidpflastern auf Dauer loszukommen war für den schmerzgeplagten Patienten indes alles andere als leicht …
Cannabis – den Stress einfach abschalten?
Wie die Opioide sind auch die Cannabinoide Botenstoffe, die unser Körper selbst herstellen und ausschütten kann und die das Stresssystem dämpfen. Cannabioide sind deshalb auch als Drogen so beliebt, weil sie schlechter Stimmung und Überforderungsgefühlen entgegenwirken. Doch diese Form der emotionalen »Entlastung« macht sie gleichzeitig so gefährlich. Cannabis löst ein starkes Falschsignal aus. Es schwächt das dynamische Anspringen des Stresssystems ab, obwohl die Gründe für die Stressreaktion vorhanden bleiben. Das wiederum kann typischerweise verhindern, dass die eigentlichen Probleme gelöst werden, welche die Stressbelastung verursacht haben. Und: Cannabis hemmt ebenfalls den Brain-Pull. Starke Hungergefühle nach der Einnahme und Gewichtszunahme bei andauerndem Cannabismissbrauch sind typische Begleiterscheinungen.
Alkohol – ein Anschein von Beruhigung und Glück
Neben Kortisol, Serotonin, dem Endorphin- und dem Cannabinoid-System kennen wir einen weiteren Spieler, wenn es darum geht, das Gehirn zu beruhigen: GABA . Während Kortisol, Serotin, Opiade und Cannabinoide in erster Linie das Stresssystem hemmen, ist GABA der Stoff, der uns die Lichter ausknipst. Fast jedes Narkosemittel dockt an den GABA -Rezeptoren an, um blitzschnell das Bewusstsein abzuschalten. Auch Alkohol wirkt direkt auf die GABA -Rezeptoren. Deshalb kann man wie bei Narkosemitteln auch bei Alkohol ziemlich genau die Menge berechnen, bei der ein Mensch das Bewusstsein verliert. Die Symptome der Trunkenheit – Schwindelgefühle, Sprachstörungen, Wahrnehmungsstörungen – sind genau genommen nur Stationen auf dem Weg zur Bewusstlosigkeit. Ähnliche Anzeichen begegnen uns übrigens auch bei Menschen mit Diabetes, die einen Unterzuckerschock erleiden. Es sind die Symptome der Neuroglukopenie: Der Energiefluss zum Gehirn versiegt, das Gehirn schaltet Areale ab, um sich vor den Folgen einer drohenden Unterversorgung zu
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