Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)
Elitesoldaten schlüpfte, war er noch ein anderes Ich. Damals hat das Gehirn auf den Stressor Gefahr geantwortet, wie menschliche Gehirne seit über 100 000 Jahren reagieren. Genau so, als wäre er einer Schlange begegnet. Das Gehirn stellt Energie für die Muskeln bereit. Doch diese Energie wird in den virtuellen Dauerkrisen eines Kampfspiels niemals gebraucht. Denn außer seine Finger und die Augen zu bewegen, sitzt Dennis völlig regungslos vor dem Monitor. Das angeborene Stress-Energie-Programm seines Organismus läuft in der virtuellen Auseinandersetzung ins Leere. Und das hat Folgen.
Die tägliche, mehrstündige Belastung von Dennis’ Stresssystem hat dazu geführt, dass es sich im Laufe der Zeit angepasst hat und nun nicht mehr so stark ausschlägt wie am Anfang seiner Spielkarriere. Seine Stress-Brain-Pull-Achse hat sich zunächst fast unmerklich verschoben und wurde inzwischen abgeschwächt. Dennoch bleibt Dennis’ Gehirnbedarf hoch, wenn er mit seinen Online-Gegnern kämpft und dabei den Atem anhält. Das führt einerseits mit großer Wahrscheinlichkeit zu dem für viele Computer-Kids typischen Übergewicht. Es sorgt aber, wie im Fall von Dennis, auch dafür, dass im echten Leben für sportliche Leistungen kaum noch Energie zur Verfügung gestellt wird. Dennis’ Erschöpfungszustand beim 5000-Meter-Lauf ist keine Simulation, sondern die Folge eines negativen metabolischen Lernprozesses des Gehirns. Wie wir bereits gesehen haben, werden beim Sport das somatische (Bewegung) sowie das autonome und neuroendokrine (Energie) Nervensystem koaktiviert. Diese Kopplung führt bei Dennis kaum noch zu einer Reaktion des autonomen Systems. Wenn er jetzt losläuft, springt sein Brain-Pull nicht mehr an. Die Glukose versackt in der Muskulatur, das Hirn bekommt nicht genug Nachschub, und es storniert die Befehle zur Bewegung. Es kommt zur »Central Fatigue« – einem Zustand zentral-nervöser Erschöpfung.
Bei Dennis hat die Brain-Pull-Inkompetenz zu zwei Symptomen geführt: zu Übergewicht und zu körperlicher Inaktivität. Zwei Dinge, die nach landläufiger Meinung untrennbar miteinander verbunden sind. Wer inaktiv ist und zu wenig Sport treibt, wird nun einmal dick. Und wer erst dick ist, wird auch träge. Doch ist die Erklärung wirklich so einfach? Es ist ein bisschen wie bei der Sache mit der Henne und dem Ei. Was war zuerst da? Tatsächlich liefert die britische Early Bird Study, in der über 200 Kinder im Alter von sieben bis zehn Jahren über mehrere Jahre untersucht wurden, einen erhellenden Befund: Inaktivität entwickelt sich erst, wenn Übergewicht schon da ist, und Inaktivität geht nicht, wie allgemein angenommen, der Gewichtszunahme voraus. Dennis hat also keineswegs deshalb zugenommen, weil er die ganze Zeit am Computer gesessen und auf diese Weise zu wenige Kalorien in seiner Muskulatur verbraucht hat! Übergewicht und Inaktivität haben aber die gleiche gemeinsame Ursache: Der Brain-Pull hat sich verändert – von kompetent hin zu inkompetent.
Aber es gibt in diesem Zusammenhang auch eine gute Nachricht. Sie kommt von einer französischen Forschergruppe und ist ein erster Beleg, dass es für metabolische Fehlleistungen praktikable Therapien geben kann. So wiesen die Wissenschaftler nach: Übergewichtige können mit körperlichem Training ihren Brain-Pull wieder stärken. Bewegung senkt langfristig das Nüchtern-Insulin und die Insulinausschüttung beim Essen. Wer Sport treibt, verbrennt also nicht nur Kalorien, sondern stärkt sogar einen aus dem Takt geratenen Brain-Pull.
Falschsignale
Nicht nur Cues und Stresserfahrungen bringen unser Gehirn in eine Versorgungskrise und sind damit Auslöser für Übergewicht. Auch durch die Nahrung selbst können Fehlprogrammierungen des Energiestoffwechsels hervorgerufen werden. Physiologisch gesehen bestehen Nahrungsmittel nämlich nicht nur aus Kohlenhydraten, Proteinen und Fetten (Energie), sondern auch aus wichtigen Botschaften für das Gehirn, die wir über unsere Sinneswahrnehmungen aufnehmen und entschlüsseln. Werden diese Informationen aber künstlich hergestellt oder verfremdet, kann es zu Softwarefehlern im Gehirn kommen. Analog zu Computerviren, die eine Festplatte manipulieren, können Falschsignale aus der Nahrung die Programme zur Nahrungserkennung und Energieverteilung unseres Gehirns verändern.
Ein Apfel enthält nicht nur Zucker, er ist auch rot, duftet, schmeckt süß und unverwechselbar aromatisch. Diese Informationen ermöglichen es
Weitere Kostenlose Bücher