Das egoistische Gen
Mustere sorgfältig alle Männchen und entscheide dich für das mit dem längsten Schwanz. Jedes Weibchen, das von dieser Regel abwich, wurde bestraft, auch dann noch, als die Schwänze bereits so lang geworden waren, daß sie ihre Besitzer tatsächlich behinderten!
Denn wenn ein Weibchen keine langschwänzigen Söhne produzierte, hatte es kaum eine Chance, daß einer ihrer Söhne für attraktiv gehalten werden würde. Wie eine Mode in der Frauenkleidung oder bei amerikanischen Automodellen kam der Trend zu längeren Schwänzen ins Rollen und gewann seine eigene Dynamik. Er wurde erst gestoppt, als die Schwänze so grotesk lang wurden, daß ihre offenkundigen Nachteile den Vorteil der sexuellen Anziehungskraft zu überwiegen begannen.
Dieser Gedanke ist nicht leicht zu schlucken und hat seit der Zeit, als Darwin ihn unter dem Namen sexuelle Auslese zum ersten Mal vorbrachte, Skeptiker auf den Plan gerufen.
Einer derer, die ihre Zweifel daran haben, ist A. Zahavi, dessen Theorie der kindlichen Erpressung wir bereits kennengelernt haben. Er bringt als rivalisierende Erklärung sein eigenes, aufreizend dazu im Widerspruch stehendes „Handikap-Prinzip“ vor. 7 Seiner Ansicht nach öffnet allein die Tatsache, daß die Weibchen versuchen, Männchen mit guten Genen auszuwählen, der Täuschung durch die Männchen Tür und Tor. Starke Muskeln mögen eine wirklich gute Eigenschaft sein, die ein Weibchen auswählen kann, aber was sollte ein Männchen daran hindern, sich Scheinmuskeln wachsen zu lassen, die nicht mehr echte Substanz haben als wattierte Schultern beim Menschen? Wenn es ein Männchen weniger kostet, sich falsche Muskeln zuzulegen als echte, dann sollte die sexuelle Auslese Gene für die Erzeugung falscher Muskeln begünstigen. Es wird jedoch nicht lange dauern, bis die Gegenselektion zur Entwicklung von Weibchen führt, die in der Lage sind, die Täuschung zu durchschauen. Zahavis grundlegende Prämisse ist die, daß falsche sexuelle Reklame schließlich von den Weibchen durchschaut wird. Er kommt daher zu dem Schluß, daß wirklich erfolgreich nur diejenigen sein werden, die keine falschen Tatsachen vorspiegeln, sondern greifbar demonstrieren, daß sie nicht täuschen. Wenn es um starke Muskeln geht, werden Männchen, die lediglich den optischen Eindruck starker Muskeln vermitteln, bald von den Weibchen entlarvt werden. Ein Männchen jedoch, das durch etwas dem Heben von Gewichten oder dem ostentativen Spielenlassen der Muskeln Vergleichbares demonstriert, daß es wirklich starke Muskeln hat, wird die Weibchen erfolgreich überzeugen. Mit anderen Worten: Zahavi meint, ein Supermann dürfe nicht nur ein erstklassiger Mann zu sein scheinen, er müsse auch wirklich ein erstklassiger Mann sein, sonst würde er von den skeptischen Weibchen nicht als solcher akzeptiert. Es werden sich daher „Turniere“ entwickeln, denen nur ein wirklicher Supermann gewachsen ist.
So weit, so gut. Jetzt kommt der Teil von Zahavis Theorie, der wirklich nicht zu schlucken ist. Er äußert die Ansicht, daß die Schwänze von Paradiesvögeln und Pfauen, die gewaltigen Geweihe von Hirschen sowie die anderen sexuell selektierten Merkmale, die immer schon paradox erschienen, weil sie für ihren Besitzer eine Belastung zu sein scheinen, sich gerade deshalb so herausbilden, weil sie Handikaps sind. Ein männlicher Vogel mit einem langen und hinderlichen Schwanz präsentiert sich den Weibchen damit als Supermann, der so stark ist, daß er trotz seines Schwanzes überleben kann.
Denken wir uns eine Frau, die einem Wettlauf zweier Männer zusieht. Wenn beide gleichzeitig am Ziel ankommen, einer sich jedoch absichtlich mit einem Sack Kohlen auf dem Rücken gehandikapt hat, so wird die Frau natürlich zu dem Schluß kommen, daß der Mann mit der Last in Wirklichkeit der schnellere Läufer ist.
Ich halte nicht sehr viel von dieser Theorie, obwohl ich in meiner Skepsis nicht mehr ganz so sicher bin, wie ich es war, als ich sie zum ersten Mal hörte. Ich wies damals darauf hin, daß die logische Folge davon die Entwicklung von Männern mit nur einem Bein und einem Auge sein müßte. Zahavi, der aus Israel kommt, gab auch prompt zurück: „Einige unserer besten Generäle haben nur ein Auge!“ Nichtsdestoweniger bleibt das Problem bestehen, daß die Handikap-Theorie einen fundamentalen Widerspruch zu enthalten scheint. Wenn das Handikap echt ist – und seine Echtheit ist ein wesentlicher Bestandteil der Theorie –, dann wird es
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