Das egoistische Gen
Lücke zwischen anderen Tieren zu plazieren sucht. Dies wird rasch zur Bildung von Aggregationen führen, die sich immer dichter zusammendrängen werden.
Es liegt auf der Hand, daß dieser Tendenz zum Zusammendrängen im wirklichen Leben von entgegengesetzten Drücken eine Grenze gesetzt wird: Andernfalls würden schließlich alle Individuen einen sich windenden Haufen bilden! Nichtsdestoweniger ist das Modell interessant, denn es zeigt uns, daß sich die Aggregation sogar auf Grund sehr einfacher Annahmen voraussagen läßt. Es sind noch andere, kompliziertere Modelle entwickelt worden. Die Tatsache, daß sie realistischer sind, tut dem Wert von Hamiltons einfacherem Modell als Denkhilfe bei der Betrachtung der Tieraggregationen keinen Abbruch.
Das Modell der „egoistischen Herde“ an sich läßt keinen Raum für kooperatives Verhalten. Hier gibt es keinen Altruismus lediglich egoistische Ausnutzung jedes Individuums durch jedes andere. Im wirklichen Leben gibt es aber Fälle, in denen einzelne Tiere wirksame Maßnahmen zu ergreifen scheinen, um die übrigen Gruppenmitglieder vor Räubern zu schützen.
Sofort fallen einem die Alarmrufe der Vögel ein. Diese haben mit Sicherheit die Funktion von Alarmsignalen, insofern als sie die Individuen, die sie hören, zur sofortigen Flucht veranlassen. Es gibt keinerlei Hinweis darauf, daß der Rufer „den Angriff des Räubers von seinen Kumpanen abzulenken versucht“. Er setzt sie einfach über die Anwesenheit des Raubvogels in Kenntnis – warnt sie. Dennoch scheint der Akt des Warnens, zumindest auf den ersten Blick, uneigennützig zu sein, weil er den Effekt hat, die Aufmerksamkeit des Räubers auf den Rufenden zu lenken. Wir können dies indirekt aus einer Tatsache ableiten, die P. R. Marler festgestellt hat. Die physikalischen Merkmale der Alarmrufe scheinen in idealer Weise so beschaffen zu sein, daß der Rufer schwer zu lokalisieren ist. Würde man einen Akustiker beauftragen, ein Geräusch zu entwickeln, an das ein Räuber sich nur schwer heranpirschen kann, so würde er etwas produzieren, das den tatsächlichen Alarmrufen vieler kleiner Singvögel sehr ähnlich wäre. Nun muß in der Natur die natürliche Auslese die Gestaltung der Rufe übernommen haben, und wir wissen, was das bedeutet. Es bedeutet, daß unzählige Vögel gestorben sind, weil ihre Alarmrufe nicht ganz perfekt waren. Also scheint das Ausstoßen des Alarmrufes mit Gefahr verbunden zu sein. Die Theorie des egoistischen Gens muß einen überzeugenden Vorteil für Warnrufe aufzeigen können, einen Vorteil, der so groß ist, daß er diese Gefahr aufwiegt.
Tatsächlich ist das nicht sehr schwierig. Die Warnrufe der Vögel sind derart oft als ein für die Darwinsche Theorie problematisches Phänomen hingestellt worden, daß es zu einer Art Sport geworden ist, sich Erklärungen für sie auszudenken. Infolgedessen haben wir heute so viele gute Erklärungen, daß man sich kaum noch daran erinnern kann, worum es bei der ganzen Aufregung eigentlich ging. Wenn die Möglichkeit besteht, daß der Schwarm einige enge Verwandte enthält, so leuchtet es ein, daß ein Gen für das Ausstoßen des Alarmrufes im Genpool gedeihen kann, weil es sich sehr wahrscheinlich im Körper einiger der geretteten Individuen befindet. Das gilt sogar dann, wenn der Rufer seinen Altruismus teuer bezahlt, indem er die Aufmerksamkeit des Räubers auf sich selbst lenkt.
Sollte jemand mit diesem auf der Verwandtschaftsselektion aufbauenden Gedanken nicht zufrieden sein, so hat er eine ganze Reihe anderer Theorien zur Auswahl. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, wie der Warner aus dem Alarmieren seiner Kumpane einen egoistischen Nutzen ziehen könnte.
Trivers weiß auf Anhieb fünf gute Thesen zu nennen, ich finde jedoch die beiden folgenden, von mir entwickelten noch überzeugender.
Die erste nenne ich die cave -Theorie, aus dem Lateinischen für „nimm dich in acht“. Dieser Ausdruck wird in England heute noch von Schülern als Warnung beim Nahen von Autoritätspersonen benutzt. Die Theorie eignet sich für Vögel mit Tarnfarben, die sich, wenn Gefahr droht, unbeweglich ins Unterholz ducken.
Nehmen wir an, ein Schwarm solcher Vögel sei auf einem Feld bei der Nahrungssuche. In einiger Entfernung fliegt ein Falke vorüber. Er hat den Schwarm noch nicht gesehen und fliegt auch nicht unmittelbar auf ihn zu, aber es besteht die Gefahr, daß seine scharfen Augen ihn jeden Augenblick entdecken und er dann auf ihn herunterstößt.
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