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Das egoistische Gen

Titel: Das egoistische Gen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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zeigen, daß stets dasjenige der beiden Individuen, das als erstes freigelassen wurde und auf dem Sonnenflecken ankam, von beiden als der „Besitzer“ angesehen wurde. Welches Männchen auch immer als zweiter auf dem Sonnenflecken anlangte, wurde als „Eindringling“ behandelt. Der Eindringling gab sich ohne Ausnahme immer sofort geschlagen und überließ dem Besitzer die alleinige Herrschaft. In einem letzten Experiment gelang es Davies, beide Schmetterlinge so zu „täuschen“, daß jeder „dachte“, er sei der Ansässige und der jeweils andere der Eindringling. Nur unter diesen Bedingungen brach ein wirklich ernsthafter, langandauernder Kampf aus. Übrigens, in all den Fällen, in denen ich der Einfachheit halber die Dinge so dargestellt habe, als habe es nur ein einziges Schmetterlingspaar gegeben, handelte es sich natürlich in Wirklichkeit um eine statistische Auswahl von Paaren.
     
    5 Ein anderer Fall, der möglicherweise eine paradoxe ESS darstellt, ist in einem Brief eines Herrn James Dawson an die Zeitung The Times (London, 7. Dezember 1977) festgehalten: „Während einer Reihe von Jahren habe ich beobachtet, daß eine Möwe, die einen günstigen Platz auf einer Fahnenstange errungen hat, ausnahmslos einer anderen Möwe Platz macht, die sich auf der Stange niederlassen möchte, und dies unabhängig von der Größe der beiden Vögel.“
    Das überzeugendste Beispiel einer paradoxen Strategie, das ich kenne, betrifft Hausschweine in einer Skinner-Box. Die Strategie ist in demselben Sinne stabil, wie eine ESS dies ist, aber man sollte sie eher „entwicklungsmäßig stabile Strategie“ nennen, denn sie entsteht während der Lebenszeit der betreffenden Tiere und nicht in evolutionärer Zeit. Eine Skinner-Box ist ein Apparat, in dem ein Tier lernt, sich selbst mit Futter zu versorgen, indem es einen Hebel drückt, woraufhin die Nahrung automatisch durch eine Schütte in den Käfig fällt. Experimentell arbeitende Psychologen sind es gewohnt, Tauben oder Mäuse in kleine Skinnerkäfige zu setzen, wo diese bald lernen, empfindliche kleine Hebel zu drücken, um mit Nahrung belohnt zu werden. Schweine können dasselbe in einer größeren Skinner-Box mit einem sehr derben Rüsselhebel lernen. (Vor vielen Jahren sah ich einen wissenschaftlichen Film darüber, und ich erinnere mich, daß ich mich vor Lachen kaum halten konnte.) B. A. Baldwin und G. B. Meese trainierten Schweine in einem Skinner-Stall, aber mit einer zusätzlichen Schwierigkeit. Der Rüsselhebel befand sich an einem Ende des Stalls, der Nahrungsspender am anderen. So mußte das Schwein also den Hebel drücken, dann zum anderen Ende des Stalls spurten, um die Nahrung zu erhalten, wieder zu dem Hebel zurückrennen und so weiter. So weit, so gut, aber Baldwin und Meese setzten Paare von Schweinen in den Apparat. Nun wurde es für eins der Schweine möglich, das andere auszubeuten. Der „Sklave“ raste hin und her und drückte den Hebel, der „Herr“ saß neben der Nahrungsschütte und fraß.
    Die an dem Experiment teilnehmenden Paare von Schweinen gelangten tatsächlich zu einem stabilen Muster der Art Herr/Sklave, bei dem das eine arbeitete und rannte und das andere einen Großteil des Fressens übernahm.
    Nun zu dem Paradox. Es stellte sich heraus, daß die Etikettierungen „Herr“ und „Sklave“ völlig auf den Kopf gestellt waren. Wann immer sich ein Paar von Schweinen bei einem stabilen Muster einpendelte, spielte schließlich dasjenige Schwein die Rolle des „Herren“ oder „Ausbeuters“, das ansonsten in jeder Hinsicht untergeordnet war. Der sogenannte „Sklave“, der alle Arbeit leistete, war das Schwein, das gewöhnlich dominierte. Jeder, der die Schweine kannte, hätte vorausgesagt, daß umgekehrt das dominierende Schwein der Herr sein würde, der meistens fraß, während das untergeordnete Schwein der hart arbeitende und kaum fressende Sklave wäre.
    Wie es zu dieser paradoxen Umkehrung kommen konnte, ist nicht schwer zu verstehen, sobald wir anfangen, im Sinne stabiler Strategien zu denken. Wir müssen das Prinzip lediglich von evolutionär bedeutsamen Zeiträumen auf die Zeitspanne übertragen, in der sich die Beziehungen zwischen zwei einzelnen Geschöpfen entwickeln. Die Strategie „Wenn dominierend, sitze am Futtertrog; wenn untergeordnet, bediene den Hebel“ klingt vernünftig, wäre aber nicht stabil. Das untergeordnete Schwein würde, nachdem es den Hebel gedrückt hat, hinübergerannt kommen, nur um zu sehen,

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