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Das egoistische Gen

Titel: Das egoistische Gen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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allmächtiger Gott willentlich die Ichneumonidae geschaffen hätte, auf daß sie im Innern lebendiger Raupenkörper fressen ...“ Er hätte genausogut das Beispiel eines französischen Meisterkochs anführen können, der Hummer lebend ins kochende Wasser wirft, um den Geschmack zu bewahren. Kehren wir zur weiblichen Grabwespe zurück: Sie führt ein einsames Leben, sieht man davon ab, daß mehrere Weibchen unabhängig voneinander in demselben Gebiet arbeiten und daß sie gelegentlich die Höhlen ihrer Artgenossinnen besetzen, statt sich die Mühe zu machen, ein neues Erdloch zu graben.
    Dr. Jane Brockmann ist so etwas wie eine Jane Goodall der Wespen. Sie kam aus Amerika, um in Oxford mit mir zusammenzuarbeiten, und brachte ihre umfangreichen Unterlagen über praktisch alle Ereignisse im Leben von zwei vollständigen Populationen individuell identifizierter weiblicher Wespen mit.
    Diese Unterlagen waren so vollständig, daß sich Zeitbudgets für die einzelnen Wespen aufstellen ließen. Zeit ist ein Wirtschaftsgut: Je mehr davon auf einen Teil des Lebens verwandt wird, desto weniger steht für andere Teile zur Verfügung. Alan Grafen gesellte sich zu uns und lehrte uns korrektes Denken in den Kategorien Zeitkosten und Fortpflanzungsnutzen. Wir fanden Indizien für eine echte gemischte ESS in einem Spiel, das zwischen weiblichen Wespen in einer Population in New Hampshire ausgetragen wurde. Allerdings gelang es uns nicht, solche Hinweise in einer anderen Population in Michigan zu finden. Kurz zusammengefaßt graben die Wespen der Population in New Hampshire entweder ihr eigenes Nest, oder sie beziehen ein Nest, das eine andere Wespe gegraben hat.
    Nach unserer Interpretation können Wespen einen Vorteil daraus ziehen, in ein fremdes Nest einzudringen, denn einige Erdlöcher werden von ihren Erbauerinnen verlassen und können wieder benutzt werden. Es zahlt sich nicht aus, eine Höhle zu beziehen, die besetzt ist, doch ein Eindringling hat keine Möglichkeit festzustellen, welche Höhlen besetzt und welche verlassen sind. Eine Wespe, die ein fremdes Erdloch bezieht, geht das Risiko ein, daß sie es tagelang mit einer anderen Bewohnerin teilt und irgendwann nach Hause zurückkommt, nur um herauszufinden, daß das Nest versiegelt worden ist und alle ihre Anstrengungen umsonst waren – die andere Wespe hat ihr Ei gelegt und wird die Vorteile ernten.
    Wenn in einer Population zu viele Wespen fremde Erdlöcher besetzen, werden leerstehende Höhlen rar, die Chance der Doppelbesetzung steigt, und es zahlt sich daher aus zu graben. Wenn dagegen viele Wespen selbst graben, fördert die große Menge verfügbarer Höhlen das Eindringen in fremde Erdlöcher. Es gibt eine kritische Häufigkeit des Besetzens in der Population, bei der Graben und Besetzen gleichen Nutzen bringen. Liegt die gegenwärtige Häufigkeit unterhalb der kritischen Frequenz, so fördert die natürliche Auslese das Besetzen, denn es besteht ein großes Angebot an verlassenen Höhlen.
    Ist umgekehrt die aktuelle Häufigkeit höher als der kritische Wert, dann herrscht ein Mangel an verfügbaren Höhlen, und die natürliche Auslese fördert das Graben. Auf diese Weise wird ein Gleichgewicht in der Population aufrechterhalten. Das detaillierte quantitative Datenmaterial läßt darauf schließen, daß es sich hier um eine echte gemischte ESS handelt, bei der für jede einzelne Wespe eine Wahrscheinlichkeit besteht, eine Höhle zu graben oder zu besetzen, statt daß die Population eine Mischung aus grabenden und besetzenden Spezialisten ist.
     
    4 Eine sogar noch eindeutigere Demonstration des Phänomens „Ansässiger gewinnt immer“ als Tinbergen liefern N. B. Davies’ Studien über Pararge aegeria , einen Augenfalter. Tinbergens Arbeit stammt aus einer Zeit, als die ESS-Theorie noch nicht erfunden war, und meine Interpretation in der ersten Auflage dieses Buches erfolgte im nachhinein. Davies dagegen konzipierte seine Schmetterlingsstudien im Lichte der ESS-Theorie. Er bemerkte, daß einzelne männliche Schmetterlinge in Wytham Wood, in der Nähe von Oxford, Flecken von Sonnenlicht verteidigten. Die Weibchen werden von solchen Flecken mit Sonnenlicht angezogen, somit war ein sonniger Fleck eine wertvolle Ressource, etwas, um das es sich zu kämpfen lohnte. Es gab mehr Männchen als sonnige Flecken, und die überzähligen Männchen warteten im Blätterdach auf ihre Chance. Davies fing Männchen ein und ließ sie eins nach dem anderen wieder fliegen, um zu

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