Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das egoistische Gen

Titel: Das egoistische Gen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
Vom Netzwerk:
wie das dominierende Schwein mit seinen Vorderfüßen fest im Trog steht und unmöglich weggedrängt werden kann. Es würde bald aufgeben, den Hebel zu drücken, denn diese Handlung würde niemals belohnt werden. Stellen wir uns nun jedoch die umgekehrte Strategie vor: „Wenn dominierend, bediene den Hebel; wenn untergeordnet, sitze am Futtertrog.“ Dies wäre stabil, obgleich es das paradoxe Resultat hat, daß das untergeordnete Schwein den Großteil des Futters bekommt. Es ist nichts weiter erforderlich, als daß etwas Futter für das dominierende Schwein übriggeblieben ist, wenn es vom anderen Ende des Stalls angerannt kommt. Sobald es ankommt, hat es keine Schwierigkeiten, das untergeordnete Schwein aus dem Trog hinauszuwerfen. Solange ein Krümel übriggeblieben ist, mit dem es belohnt wird, wird seine Gewohnheit, den Hebel zu bewegen und dabei unwissentlich das untergeordnete Schwein mit Futter vollzustopfen, bestehen bleiben. Und die Gewohnheit des untergeordneten Schweins, sich faul am Trog zurückzulegen, wird ebenfalls belohnt. Somit wird die ganze Strategie „Wenn dominierend, verhalte dich wie ein ›Sklave‹; wenn untergeordnet, benimm dich wie ein ›Herr‹“ belohnt und ist daher stabil.
     
    6 Ted Burk, seinerzeit mein graduierter Student, fand weitere Beweise für derartige Pseudo-Dominanzhierarchien bei Grillen. Er zeigte auch, daß ein Grillenmännchen mit größerer Wahrscheinlichkeit Weibchen den Hof macht, wenn es vor kurzem einen Kampf gegen ein anderes Männchen gewonnen hat. Man sollte dies den „Herzog-von-Marlborough-Effekt“ nennen, nach der folgenden Tagebucheintragung der ersten Herzogin von Marlborough: „Seine Gnaden kam heute aus dem Krieg zurück und ergötzte mich zweimal in seinen Stulpenstiefeln.“ Zu einem anderen möglichen Namen könnte das folgende Zitat aus der Zeitschrift New Scientist über Veränderungen in der Konzentration des männlichen Hormons Testosteron anregen: „Der Hormonspiegel verdoppelte sich bei Tennisspielern während der 24 Stunden vor einem großen Match. Danach blieb er bei Siegern hoch, bei Verlierern dagegen sank er ab.“
     
    7 Dieser Satz geht ein bißchen zu weit. Wahrscheinlich habe ich nur zu stark auf die damals übliche Vernachlässigung der ESS-Idee in der zeitgenössischen biologischen Literatur, vor allem in Amerika, reagiert. In E.O. Wilsons großem Werk Sociobiology beispielsweise kommt der Ausdruck kein einziges Mal vor. Heute wird er nicht mehr übergangen, und ich kann jetzt einen ausgewogeneren und weniger missionarischen Standpunkt einnehmen. Man braucht nicht wirklich die ESS-Sprache zu benutzen, wenn man klar genug denkt. Aber sie ist eine große Hilfe, wenn man klar denken will, besonders in jenen Fällen – die in der Praxis überwiegen –, in denen es an detaillierten genetischen Kenntnissen fehlt. Man hört gelegentlich, die ESS-Modelle setzten das Vorliegen ungeschlechtlicher Fortpflanzung voraus. Aber diese Behauptung ist irreführend, sofern eine ausdrückliche Voraussetzung der ungeschlechtlichen – im Gegensatz zur geschlechtlichen – Fortpflanzung gemeint ist. Die Wahrheit ist eher, daß ESS-Modelle es nicht erfordern, sich in bezug auf die Einzelheiten des genetischen Systems festzulegen. Statt dessen wird darin unterstellt, daß Gleiches in irgendeinem vagen Sinne Gleiches erzeugt. Für viele Zwecke ist diese Annahme angemessen. Ja, ihr vager Charakter kann sogar ein Vorteil sein, da er die Gedanken auf das Wesentliche konzentriert und von Einzelheiten, etwa der genetischen Dominanz, ablenkt, die in spezifischen Fällen gewöhnlich unbekannt sind. Am nützlichsten ist ESS-Denken in einer negativen Rolle; es hilft uns, theoretische Fehler zu vermeiden, zu denen wir andernfalls verleitet werden könnten.

    8 Dieser Absatz ist eine akzeptable Zusammenfassung einer Möglichkeit, die heute wohlbekannte Theorie des unterbrochenen Gleichgewichts darzustellen. Ich schäme mich zuzugeben, daß mir, als ich meine Mutmaßung niederschrieb, wie damals vielen anderen Biologen in England jene Theorie völlig unbekannt war, obgleich sie bereits drei Jahre zuvor veröffentlicht worden war. Seither bin ich, zum Beispiel in meinem Buch Der blinde Uhrmacher , etwas ärgerlich geworden – vielleicht zu ärgerlich – über die Art und Weise, wie die Theorie des unterbrochenen Gleichgewichts überbewertet worden ist. Wenn dies jemandes Gefühle verletzt hat, so bedauere ich das. Er mag erfreut feststellen, daß zumindest im

Weitere Kostenlose Bücher