Das egoistische Gen
Überlebensmaschine mit einem die Muskeln steuernden, vorprogrammierten Computer vorstellen. Wenn wir die Strategie als eine Reihe einfacher Instruktionen in normaler Sprache niederschreiben, soll uns dies lediglich dabei helfen, sie uns vorzustellen. Mittels eines nichtspezifizierten Mechanismus verhält sich das Tier so, als ob es diesen Anweisungen Folge leistete.
Eine evolutionär stabile Strategie oder ESS ist definiert als eine Strategie, die – wenn die Mehrzahl der Angehörigen einer Population sie sich zu eigen macht – von keiner alternativen Strategie übertroffen werden kann. Dies ist ein komplizierter und wichtiger Gedanke. Anders ausgedrückt besagt er, daß die beste Strategie für ein Individuum davon abhängt, was die Mehrheit der Bevölkerung tut. Da der Rest der Bevölkerung aus Individuen besteht, von denen jedes seinen eigenen Erfolg zu maximieren sucht, wird nur eine solche Strategie fortbestehen, die, sobald sie sich einmal herausgebildet hat, von keinem abweichenden Individuum übertroffen werden kann.
Nach einer größeren Umweltveränderung kann es in der Population eine kurze Periode der evolutionären Instabilität, vielleicht sogar des evolutionären Hin- und Herpendelns geben.
Ist aber einmal eine ESS erreicht, so wird sie bleiben: Die Selektion wird jedes Abweichen von ihr bestrafen.
Um diesen Gedanken auf die Aggression anzuwenden, wollen wir einen von Maynard Smiths einfachsten hypothetischen Fällen betrachten. Nehmen wir an, es gäbe in einer Population einer speziellen Art lediglich zwei Kampfstrategien, die als Falke und Taube bezeichnet werden. (Die Namen sind entsprechend dem traditionellen menschlichen Sprachgebrauch gewählt und stehen in keiner Verbindung zu den Gewohnheiten der Vögel, von denen sie abgeleitet sind: Tauben sind in Wirklichkeit recht aggressive Vögel.) Alle Individuen unserer hypothetischen Population sind entweder Falke oder Taube. Die Falken kämpfen so heftig und ungezügelt, wie sie nur können, und räumen das Feld erst, wenn sie ernstlich verletzt sind. Die Tauben drohen lediglich auf eine würdevolle, konventionelle Weise und verletzen niemals jemanden. Wenn ein Falke eine Taube angreift, läuft die Taube schnell fort und wird daher nicht verletzt. Wenn ein Falke mit einem Falken kämpft, hören sie erst auf, wenn einer von ihnen ernstlich verletzt oder tot ist. Trifft eine Taube auf eine andere Taube, so wird niemand verletzt; in Imponierstellung stehen sie einander geraume Zeit gegenüber, bis eine von ihnen müde wird oder den Entschluß faßt, sich nicht länger aufzuregen, und daher klein beigibt. Einstweilen nehmen wir an, daß es für ein Individuum keine Möglichkeit gibt, im voraus festzustellen, ob ein spezieller Rivale ein Falke oder eine Taube ist. Es findet dies nur dadurch heraus, daß es mit ihm kämpft, und es hat keine Erinnerung an vergangene Kämpfe mit bestimmten Individuen, an der es sich orientieren könnte.
Wir setzen jetzt rein willkürlich Punktzahlen fest, die wir an die Kämpfenden verteilen. Beispielsweise 50 Punkte für einen Sieg, null Punkte für eine Niederlage, -100 für eine ernste Verletzung und -10 für Zeitverschwendung bei einer langen Auseinandersetzung. Wir können uns diese Punkte als unmittelbar in die Währung des Genüberlebens konvertierbar vorstellen. Ein Individuum, das hohe Punktzahlen erreicht, in der Regel also eine hohe „Prämie“ bekommt, ist ein Individuum, das viele Gene im Genpool hinterläßt. Innerhalb breiter Grenzen sind die tatsächlichen Zahlenwerte für die Analyse bedeutungslos, aber sie helfen uns beim Durchdenken des Problems.
Wichtig ist, daß wir nicht wissen wollen, ob die Falken gewöhnlich die Tauben besiegen, wenn sie mit ihnen kämpfen.
Die Antwort darauf kennen wir bereits: Die Falken gewinnen immer. Wir wollen wissen, ob eine der beiden Strategien, Falke oder Taube, evolutionär stabil ist. Wenn eine von ihnen eine ESS ist und die andere nicht, müssen wir erwarten, daß sich in der Evolution diejenige herausbildet, die die ESS ist. Theoretisch ist es möglich, daß es zwei evolutionär stabile Strategien gibt. Dies wäre der Fall, wenn – unabhängig davon, welches zufällig die Mehrheitsstrategie ist – die beste Strategie für jedes beliebige Individuum darin bestünde, dem Beispiel der anderen zu folgen. Die Population würde dann dazu tendieren, in demjenigen ihrer beiden stabilen Zustände zu verbleiben, den sie zufällig zuerst erreicht. Doch wie wir
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