Das egoistische Gen
betrachten.
Vielleicht besteht zwischen ihnen doch irgendeine Konkurrenz, etwa um Regenwürmer. Daß heißt nicht, daß wir jemals sehen werden, wie ein Maulwurf und eine Amsel ein Tauziehen um einen Regenwurm veranstalten; tatsächlich bekommt eine Amsel vielleicht niemals in ihrem Leben einen Maulwurf zu Gesicht. Doch wenn man die Population der Maulwürfe auslöschen würde, hätte dies vielleicht gravierende Folgen für die Amseln, wenn ich auch im Moment keinerlei Vermutung darüber anstellen könnte, wie dies im einzelnen aussehen würde oder welche gewundenen Wege der Einfluß nehmen würde.
Überlebensmaschinen, die verschiedenen Arten angehören, beeinflussen einander auf vielerlei Weise. Sie können Räuber sein oder Beute, Parasiten oder Wirte, Konkurrenten um irgendeine knappe Ressource. Sie können auf spezielle Art ausgenutzt werden wie beispielsweise Bienen, die von Blumen als Pollenträger benutzt werden.
Überlebensmaschinen derselben Art wirken in ihrem Leben gewöhnlich direkter aufeinander ein. Dafür gibt es viele Gründe. Einer ist der, daß die Hälfte der Population der eigenen Art potentielle Geschlechtspartner und potentiell schwer arbeitende Väter beziehungsweise Mütter für die eigenen Kinder sein können. Ein anderer Grund ist, daß Angehörige derselben Art, die einander sehr gleichen, da sie Maschinen zur Bewahrung von Genen an einem gleichartigen Ort und mit derselben Lebensweise sind, besonders unmittelbar um alle zum Leben notwendigen Ressourcen konkurrieren. Für eine Amsel ist ein Maulwurf vielleicht ein Konkurrent, aber kein annähernd so starker Konkurrent wie eine andere Amsel. Maulwürfe und Amseln mögen um Würmer konkurrieren, Amseln untereinander aber konkurrieren um Würmer und um alles andere. Wenn sie demselben Geschlecht angehören, konkurrieren sie vielleicht außerdem noch um Geschlechtspartner. Aus Gründen, die wir noch kennenlernen werden, sind es gewöhnlich die Männchen, die miteinander um Weibchen konkurrieren. Das heißt, daß ein Männchen seinen eigenen Genen vielleicht einen Vorteil verschafft, wenn es etwas tut, das einem anderen Männchen, mit dem es konkurriert, schadet.
Es könnte daher scheinen, als sei die folgerichtige Taktik für eine Überlebensmaschine die, ihre Rivalen zu ermorden und dann am besten zu verzehren. Mord und Kannibalismus kommen zwar tatsächlich in der Natur vor, sind aber nicht so häufig, wie eine unbefangene Interpretation der Theorie des egoistischen Gens voraussagen würde. Konrad Lorenz etwa betont in seinem Buch Das sogenannte Böse den maßvollen und fairen Charakter der Tierkämpfe. Das Bemerkenswerte an diesen Kämpfen ist für ihn die Tatsache, daß es sich um formelle Turniere handelt, die nach Regeln wie denen des Boxens oder Fechtens abgehalten werden. Die Tiere kämpfen mit behandschuhter Faust und stumpfem Florett. Drohung und Bluff treten an die Stelle tödlichen Ernstes. Unterwerfungsgesten werden vom Sieger anerkannt, der dann darauf verzichtet, den Todesschlag oder -biß auszuteilen, den unsere Theorie in naiver Auslegung voraussagen würde.
Diese Interpretation, tierische Aggression sei verhalten und formal, läßt sich bestreiten. Insbesondere ist es sicherlich falsch, den armen alten Homo sapiens als die einzige Spezies zu verdammen, die ihre eigenen Artgenossen tötet, als den einzigen Erben des Kainsmales oder etwas ähnlich Melodramatisches. Ob ein Zoologe die Heftigkeit oder die Beherrschtheit der tierischen Aggression hervorhebt, hängt zum Teil von der Art der Tiere ab, die zu beobachten er gewöhnt ist, und zum Teil von seinen evolutionstheoretischen Vorurteilen – schließlich ist Lorenz ein Verfechter der These vom „Wohl der Art“. Doch wenn die Auffassung, daß die Tiere mit behandschuhter Faust kämpfen, auch übertrieben worden ist, so hat sie dennoch zumindest etwas Wahres an sich. Auf den ersten Blick sieht ein solches Verhalten wie eine Form von Altruismus aus. Die Theorie des egoistischen Gens muß sich der schwierigen Aufgabe stellen, eine Erklärung dafür zu finden. Warum versuchen nicht alle Tiere, bei jeder möglichen Gelegenheit rivalisierende Angehörige ihrer eigenen Art zu töten ?
Die allgemeine Antwort darauf lautet, daß vorbehaltlose Kampfeswut nicht nur Vorteile, sondern auch Kosten mit sich bringt, und zwar nicht nur die deutlich erkennbaren Kosten an Zeit und Energie. Nehmen wir beispielsweise an, B und C seien beide meine Rivalen und ich träfe B
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