Das egoistische Gen
gleich sehen werden, wäre in Wirklichkeit keine der beiden Strategien – Falke oder Taube – auf sich allein gestellt evolutionär stabil, und wir sollten daher nicht erwarten, daß sich eine von ihnen entwickelt. Um dies deutlich zu machen, müssen wir die Durchschnittsprämien berechnen.
Nehmen wir an, wir haben eine Population, die ausschließlich aus Tauben besteht. Wann immer sie kämpfen, es wird niemand verletzt. Die Auseinandersetzungen bestehen aus langwierigen rituellen Turnieren, vielleicht aus Wettkämpfen im Anstarren, die erst enden, wenn einer der Rivalen klein beigibt.
Der Sieger erzielt dann 50 Punkte dafür, daß er die umstrittene Ressource gewonnen hat, aber er zahlt eine Strafe von -10 für Zeitverschwendung bei einem langen Anstarr-Match; alles in allem erzielt er also 40 Punkte. Der Verlierer wird ebenfalls mit einer Strafe von -10 für Zeitvergeudung belegt. Im Durchschnitt kann jede einzelne Taube erwarten, daß sie die Hälfte ihrer Auseinandersetzungen gewinnt und die Hälfte verliert.
Ihre durchschnittliche Prämie pro Auseinandersetzung ist daher das Mittel von +40 und -10, das heißt +15. Daher scheint es jeder einzelnen Taube in einer Population von Tauben recht gut zu gehen.
Nehmen wir nun aber an, in der Population trete ein durch Mutation entstandener Falke auf. Da er weit und breit der einzige Falke ist, sind alle Kämpfe, die er führt, gegen Tauben.
Falken schlagen Tauben immer, somit erzielt er in jedem Kampf +50, und das ist seine durchschnittliche Prämie. Er erfreut sich eines enormen Vorteils gegenüber den Tauben, deren Nettoprämie lediglich +15 beträgt. Infolgedessen werden sich die Falkengene schnell über die gesamte Population verbreiten. Aber jetzt kann sich ein Falke nicht mehr darauf verlassen, daß jeder Rivale, den er trifft, eine Taube ist. Um ein extremes Beispiel zu nennen: Wenn sich die Falkengene so erfolgreich ausbreiten würden, daß die gesamte Population schließlich aus Falken bestünde, wären alle Kämpfe nunmehr Falkenkämpfe.
Jetzt liegen die Dinge völlig anders. Wenn zwei Falken aufeinandertreffen, wird einer von ihnen ernstlich verletzt und bekommt -100 Punkte, während der Gewinner +50 erzielt.
Jeder Falke in einer Falkenpopulation kann damit rechnen, daß er die Hälfte seiner Kämpfe gewinnt und die Hälfte verliert. Die durchschnittliche Prämie, die er pro Kampf zu erwarten hat, liegt daher in der Mitte zwischen +50 und -100, das heißt bei -25. Denken wir uns jetzt eine einzelne Taube in einer Population von Falken. Zwar verliert sie alle ihre Kämpfe, andererseits aber wird sie auch niemals verletzt. Ihre durchschnittliche Prämie in einer Falkenpopulation ist null, wogegen die durchschnittliche Prämie für einen Falken in einer Falkenpopulation -25 beträgt. Die Taubengene werden daher dazu tendieren, sich in der gesamten Population auszubreiten.
So wie ich die Sache dargestellt habe, entsteht der Eindruck, als gäbe es in der Population eine fortwährende Pendelbewegung. Die Falkengene stürmen zur Vorherrschaft, als Folge der Überzahl der Falken erzielen dann die Taubengene einen Vorteil und nehmen an Zahl zu, bis die Falkengene von neuem erfolgreich sind. Eine derartige Pendelbewegung braucht jedoch nicht aufzutreten. Es gibt ein Verhältnis von Falken zu Tauben, das stabil ist. Für das willkürliche Punktsystem, das wir benutzen, errechnet sich ein Verhältnis von 5/12 Tauben zu 7/12 Falken. Wenn dieses stabile Verhältnis erreicht ist, dann ist die durchschnittliche Prämie für einen Falken genau gleich der durchschnittlichen Prämie für eine Taube.
Daher begünstigt die Selektion keinen von beiden. Würde die Zahl der Falken in der Population zu steigen beginnen, so daß ihr Anteil nicht mehr 7/12 betrüge, so würde sich für die Tauben ein zusätzlicher Vorteil einstellen, und die Relation würde zu dem stabilen Zustand zurückschwingen. So wie das stabile Geschlechterverhältnis 50:50 beträgt – was wir noch sehen werden –, beträgt die stabile Rate von Falken zu Tauben in diesem Beispiel 7:5. In jedem der beiden Fälle brauchen eventuelle Schwankungen um den Stabilitätspunkt nicht sehr groß zu sein.
Oberflächlich betrachtet erinnert dies ein wenig an Gruppenselektion, in Wirklichkeit ist es jedoch nichts dergleichen.
Es klingt wie Gruppenselektion, weil wir in die Lage versetzt werden, uns vorzustellen, daß eine Population ein stabiles Gleichgewicht besitzt, zu dem sie nach einer Störung
Weitere Kostenlose Bücher