Das egoistische Gen
Asymmetrien. Beispielsweise haben Ansässige Eindringlingen gegenüber wahrscheinlich meist einen praktischen Vorteil. Sie verfügen über eine bessere Kenntnis des Terrains; zudem ist ein Eindringling wahrscheinlich eher außer Atem, weil er sich erst in das Kampfgebiet begeben mußte, während der Ansässige die ganze Zeit dort war.
Außerdem gibt es noch einen mehr abstrakten Grund, warum von den zwei stabilen Zuständen der Zustand „Ansässiger gewinnt, Eindringling weicht zurück“ in der Natur wahrscheinlicher ist. Die umgekehrte Strategie „Eindringling gewinnt, Ansässiger zieht sich zurück“ weist nämlich eine inhärente Tendenz zur Selbstzerstörung auf – sie ist das, was Maynard Smith eine paradoxe Strategie nennen würde. In jeder bei dieser paradoxen Strategie verharrenden Population würden die Individuen sich stets bemühen, niemals als Ansässige angetroffen zu werden: Sie würden immer versuchen, bei jedem Zusammentreffen der Eindringling zu sein. Dies könnten sie nur durch unablässiges und ansonsten sinnloses Umherschweifen erreichen! Ganz abgesehen von den damit verbundenen Kosten an Zeit und Energie würde dieser evolutionäre Trend von selbst dazu führen, daß die Kategorie „Ansässiger“ zu existieren aufhörte. In einer Population in dem anderen Zustand „Ansässiger gewinnt, Eindringling weicht zurück“ würde die natürliche Auslese Individuen begünstigen, die danach strebten, Ansässige zu sein. Für jedes Individuum würde dies bedeuten, daß es an einem speziellen Stückchen Grund und Boden festhält, es sowenig wie möglich verläßt und zu „verteidigen“ scheint. Ein solches Verhalten ist in der Natur häufig zu beobachten und als Territorialverhalten bekannt.
Am treffendsten veranschaulicht hat diese Form der Verhaltensasymmetrie der große Ethologe Niko Tinbergen in einem Experiment von charakteristisch genialer Einfachheit. 4 In einem Aquarium hielt er zwei Stichlingsmännchen. Diese hatten an den entgegengesetzten Enden des Beckens jeweils ein Nest gebaut, und jedes „verteidigte“ das Revier in der Nähe seines Nestes. Tinbergen setzte die Stichlinge einzeln in je eine große Glasröhre; er hielt die beiden Röhren nebeneinander und beobachtete, wie die Männchen sich durch das Glas zu bekämpfen suchten. Und jetzt kommt das Interessante: Wenn er die beiden Röhren in die Nähe des Nestes von Männchen A brachte, so nahm A eine Angreifstellung ein, und B versuchte zurückzuweichen. Wenn er die beiden Röhren jedoch in das Territorium von B hineinführte, so drehte sich der Spieß um.
Durch ein einfaches Hin- und Herbewegen der Röhren von einem Ende des Beckens zum anderen konnte Tinbergen diktieren, welches Männchen angriff und welches zurückwich.
Beide Fische spielten ganz offensichtlich die einfache bedingte Strategie: „Wenn Ansässiger, greif an; wenn Eindringling, zieh dich zurück!“
Biologen stellen häufig die Frage nach den biologischen „Vorteilen“ des Territorialverhaltens. Zahlreiche Hypothesen sind aufgestellt worden, von denen einige später erwähnt werden.
Doch wir können bereits jetzt erkennen, daß die Frage an sich möglicherweise überflüssig ist. Es ist möglich, daß die „Verteidigung“ des Reviers einfach eine ESS ist, die sich aus der Asymmetrie der Ankunftszeit ergibt, welche gewöhnlich die Beziehung zwischen zwei Individuen und einem Stück Grund und Boden kennzeichnet.
Die wichtigste Art der nichtwillkürlichen Asymmetrie ist vermutlich die Asymmetrie in bezug auf Größe und allgemeine Kampfkraft. Körpergröße ist nicht unbedingt immer die wichtigste der Eigenschaften, die zum Gewinnen von Kämpfen nötig sind, aber doch eine der wichtigen. Wenn stets der größere von zwei Kämpfern gewinnt und wenn jedes Individuum mit Sicherheit weiß, ob es größer oder kleiner als sein Gegner ist, dann ist nur eine einzige Strategie sinnvoll: „Wenn dein Gegner größer ist als du, lauf fort. Suche den Kampf mit Leuten, die kleiner sind als du.“ Die Dinge werden ein wenig komplizierter, wenn die Bedeutung der Größe weniger eindeutig ist. Wenn eine große Körperstatur nur einen geringen Vorteil verleiht, ist die gerade genannte Strategie immer noch stabil. Besteht jedoch ein ernsthaftes Verletzungsrisiko, so könnte es eine Alternative geben, eine sogenannte paradoxe Strategie. Diese lautet: „Brich Streit vom Zaun mit Leuten, die größer sind als du, und lauf weg vor Leuten, die kleiner sind als du!“ Es liegt
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